Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
zu.
»Hoffentlich hast du noch etwas Brot übrig gelassen«, sagte Greg und schaltete den Wasserkocher ein. Er hörte ein weiteres Brummen, als er zum Brotkasten ging, und eine gebrummte Entschuldigung, als er an den Kühlschrank trat. »Okay, als ob du alles gegessen hättest …« Er durchsuchte den Kühlschrank vergeblich nach einem Joghurt, der am Tag zuvor noch dagewesen war. Kieron, der WG-Bewohner, der Ende letzten Jahres ausgezogen war, hatte die Angewohnheit, den letzten Rest des Gemeineigentums an Brot, Milch oder was auch immer wegzuessen. Und nun entwickelte sich Alex in dieselbe Richtung. Aber Greg war geneigter, seiner Schwester zu vergeben. Außerdem roch das Bad, wenn sie es benutzt hatte, wesentlich angenehmer als bei Kieron.
Als er sich mit einem Toast und seinem Tee endlich zu ihr setzte, schob sie die Zeitung beiseite. »Du gehst früh rein.«
»Zur Zwölfuhrvorlesung«, sagte Greg. »Henry der Scheißzweite. Und das ist nicht wirklich das, was der Rest der Welt als früh bezeichnen würde.«
»Ich finde es früh.«
»Wann bist du nach Hause gekommen?«
»Keine Ahnung«, sagte Alex. »Nicht durchgeknallt spät. Aber ein paar von uns landeten am Schluss in Islington und tranken einige von diesen tödlichen Wodkas.«
»Die anderen tranken sie?«
Alex grinste. »Ist ja okay. Ich hab ein paar getrunken.« Sie stach mit dem Finger in die Luft, als Greg den Kopf schüttelte. »Den großen Bruder kannst du dir schenken. Nicht bei dem, was du manchmal so treibst.«
Greg errötete, was ihn sofort ärgerte, und er ärgerte sich gleich noch mehr, als Alex wissend kicherte. »Schau mal, du bist jetzt erst zwei Wochen hier, das ist alles, was ich sage.« Er ließ sie nicht zu Wort kommen, als sie den Mund öffnete. »Und erzähl mir jetzt bloß nicht, ich soll chillen oder so was. Du bist keine zwölf mehr.«
»Ich lerne Leute kennen«, sagte sie.
»Du musst die Sache langsam angehen. Ach ja, und du musst arbeiten.« Er schlug sich theatralisch an die Brust. »Ich weiß, klingt verrückt …«
»Wie du gesagt hast, ich bin erst zwei Wochen hier.« Sie wollte ihm den Toast wegschnappen, was jedoch nicht klappte. »Und weißt du, ich studiere Theaterwissenschaften. Das ist nicht so heftig.«
»Wie sich unser alter Herr gefreut hat, dass du einen Platz hier bekommen und du ihm gesagt hast, dass du bei mir einziehst.«
Sie zuckte die Achseln.
»Und wie sauer wäre er, wenn er wüsste, dass du jeden zweiten Abend durch die Pubs ziehst.«
Gerade als es aussah, als würde Alex losbrüllen oder aus der Küche stürmen, setzte sie dieses Lächeln auf, das die Butter zum Schmelzen brachte und mit dem sie seit achtzehn Jahren gut durchkam. »Du bist ja nur eifersüchtig, weil du ein richtiges Studium mit richtigen Vorlesungen hast«, sagte sie. »Henry der Scheißzweite.«
»Stinklangweilig«, sagte er.
Sie lachten beide, und diesmal gelang es ihr, ihm den Toast wegzuschnappen. Greg nannte sie ein gieriges Miststück, und Alex nannte ihn einen Korinthenkacker, bevor sie aufstand, um neuen Toast zu machen.
»Gehst du heute Abend ins Rocket?«
Alex drehte sich zu ihm um und zog ein Gesicht. »Nach dem, was du gerade gesagt hast?«
»Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Ich werd wahrscheinlich hingehen.«
»Okay. Betonung auf wahrscheinlich.« Sie deutete mit dem butter- und marmitebeschmierten Messer anklagend auf ihn. Im Rocketkomplex in der Holloway Road war das Studentenwerk untergebracht. Außerdem befand sich dort einer der trendigsten Clubs der Stadt, in dem ihr Bruder bis vor kurzem nicht gerade ein häufiger Gast war. »Das wär ja schon das dritte Mal in dieser Woche.«
»Ja?«
»Wird langsam zur Gewohnheit.«
Er zuckte die Achseln. »Die Drinks sind dort billig.«
»Aha, dann liegt es also nicht daran, dass du ein Auge auf jemanden geworfen hättest?«
Wieder errötete Greg und stand auf. Er erklärte ihr, er
habe keine Zeit mehr, um noch einen Toast zu essen, er müsse jetzt aufbrechen. Sie rief ihm nach, er könne den Toast ja auf dem Weg essen. Er rief zurück: »Da kann ich mich gleich umbringen …«
Fünf Minuten später schob er sein Rad über den Bürgersteig und aß den Toast, den Alex ihm oben an der Treppe in die Hand gedrückt hatte. So lief es meistens. Sosehr ihr Vater darauf setzte, dass Greg ein Auge auf seine kleine Schwester haben würde, war es normalerweise sie, die sich um ihn kümmerte und ständig alles checkte und sich benahm wie die Mutter, die sie nicht
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