Tom Thorne 08 - Die Schuld des Blutes
Holland.
Turner warf die Papierfetzen in den Papierkorb in der Ecke. »Das war der Mädchenname ihrer Mutter«, sagte sie. »Ihr war eigentlich nichts von ihrer Mutter geblieben, nachdem sie gestorben war. Ihr Vater hat zu trinken angefangen und alles versetzt, was sich zu Geld machen ließ. Der Name war das Einzige, was Cath behalten konnte.«
Damit war die Sache geklärt. Thorne sah nach seiner Jacke, die er neben dem Sofa auf den Boden gelegt hatte. »Wie alt war sie, als es passierte?«
»Elf. Wir hatten gerade die Schule gewechselt und waren das erste Jahr bei den Großen.« Turner schloss vier, fünf Sekunden die Augen. »Zehn.« Dann stand sie auf und setzte
sich wieder in ihren Sessel. »Das hat sie echt kaputtgemacht. Das hat ihr Leben kaputtgemacht. Ihr ganzes Leben, wissen Sie.«
»Drogen?«
»Ist doch nachvollziehbar, oder?«
Als er nach der Jacke griff, sah Thorne, wie die Augen des Mannes im Sessel nach unten glitten. Jamie Paice war offensichtlich nur zu glücklich gewesen, seiner Freundin dabei Gesellschaft zu leisten, sich zuzudröhnen, egal welche Pillen sie aus dem Krankenhaus mitbrachte.
»Garvey brachte Catherines Mum um, während sie sich sonnte«, sagte Turner. »Kletterte einfach über den Zaun und schlug sie mitten am Tag tot.« Sie sah auf das bisschen Bier, das noch in ihrer Flasche war, und trank es rasch aus. »Catherine fand sie im Garten, als sie von der Schule heimkam.«
Fünfzehn Minuten später, ein, zwei Kilometer vor der M1, sagte Holland: »Mit etwas Glück sind wir Mitternacht daheim.«
»Ist wahrscheinlich besser, wenn wir hier übernachten?«
»Wie bitte?«
»Etwas trinken, uns aufs Ohr hauen und morgen früh losfahren.«
Holland wirkte nicht gerade erbaut. »Ich hab Sophie keine Vorwarnung gegeben.«
»Dann sitzen wir im selben Boot.« Thorne nahm den Fuß vom Gas und studierte die Schilder. »Auf dem Weg hierher sind wir an einem Hotel vorbeigekommen. Das wäre ideal für die M1 morgen.«
»Scheiße … Ich hab nix dabei zum Übernachten.«
»Wir können uns Zahnbürsten besorgen«, sagte Thorne.
»Und erzählen Sie mir jetzt bloß nicht, Sie hätten noch nie zweimal dieselbe Unterhose getragen.«
»Ist aber schon verrückt«, wandte Holland ein. »Wir sind eine gute Stunde von zu Hause weg.«
»Ich bin müde.«
»Ich fahr gerne, wenn Sie schlafen möchten.«
»Ich möchte übernachten«, sagte Thorne.
Es war halb Travelodge und halb Besserungsanstalt. Wohin das Auge blickte, Plastik im Holzlook, dazu Panflötenmusik aus Lautsprechern, die zu hoch angebracht waren, um sie aus der Wand zu reißen. Und ein beunruhigender Geruch in der Lobby. Sie checkten schnell ein und versuchten, möglichst wenig zu atmen. Thorne gab sich Mühe, witzig und angenehm zu sein, schaffte es jedoch nicht, der Frau am Empfang ein Lächeln zu entlocken. Danach gingen sie, da weder er noch Holland ins Zimmer wollten, ohne sich zuvor mit mindestens einem Drink gestärkt zu haben, vom luxuriösen Empfangsbereich in die sogenannte Bar.
Es war noch nicht mal elf Uhr, aber die aus einer Handvoll Tischen und ein paar künstlichen Pflanzen bestehende Bar war praktisch menschenleer. Zwei Männer mittleren Alters kauerten an einem Tisch neben der Tür, und eine Frau Anfang dreißig saß am anderen Ende der Bar und blätterte in einem Magazin. So was wie ein Barkeeper oder eine Bedienung war nirgends zu sehen.
»Hier ist ja der Bär los«, sagte Holland.
Nach ein paar Minuten tauchte hinter dem Tresen ein Kerl mit Glatze in einem lila Jäckchen auf, und Thorne bestellte die Drinks, für sich ein Glas Blossom Hill und für Holland ein Stella. Er fragte, ob man ein paar Sandwiches
haben könne, und bekam die Auskunft, die Küche sei unterbesetzt. Sie gingen mit ihren Drinks zu einem Ecktisch. Bevor er sich setzte, sammelte Thorne von den Nachbartischen noch drei halbleere Schalen mit Erdnüssen ein.
»Die sind voller Pisse«, sagte Holland.
Thorne hatte sich bereits eine Handvoll in den Mund geschoben und wischte sich das Salz von den Fingern. »Was?«, brummte er.
Holland deutete mit einem Nicken auf die Schale Erdnüsse. »Von den Typen, die pinkeln gehen und sich dann nicht die Hände waschen. Ich hab bei Oprah was darüber gelesen, sie haben Erdnüsse und Laugenstangen und so Knabberzeug untersucht, das in Bars rumsteht.«
Thorne zuckte die Achseln. »Ich hab Hunger.«
Holland nahm sich auch eine Handvoll. »Ich sag ja nur.«
Die Panflötenmusik war von etwas abgelöst
Weitere Kostenlose Bücher