Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
fehlt?«
»Sieht nicht so aus, aber er hatte ja auch nicht viel Zeit.«
»Na, immerhin.«
»Es gibt nicht vieles, das sich zu stehlen lohnt: der Fernseher, der DVD-Spieler, das wär’s dann wohl. Ist ja nicht so, als
ob hier irgendwo Juwelen versteckt wären.« Helen hatte im Lauf der Jahre mit vielen Einbruchsopfern geredet. Sobald sie über den Schock hinweg waren, sprachen die meisten davon, wie verletzlich und verletzt sie sich fühlten. Ob sie das wohl auch erwartete? Oder ob das in dem ganzen Sumpf aus Trauer und Schuld unterging? »Allerdings fällt es mir im Moment schwer, mich darüber zu freuen.«
Deering nickte. »Momentan läuft’s nicht gerade blendend für Sie, stimmt’s?«
Helen lachte auf, doch sogleich fröstelte sie wieder, und sie zog den Bademantel fester zu.
»Ich möchte hier nicht einem alten Fuchs neue Tricks beibringen und so, aber Sie sollten wirklich die Polizei anrufen.«
»Ich weiß.« Die Aussicht war nicht gerade erfreulich. Höchstwahrscheinlich würde man sie respekt- und rücksichtsvoll behandeln, aber man lief stets Gefahr, es mit einem unsensiblen Anfänger zu tun zu bekommen.
»Sie sind sicher schnell hier«, sagte Deering. »Wenn Sie Ihre Umstände erklären.«
»Darauf würde ich nicht setzen. Ich glaube, heute Abend ist in der Polizeiakademie eine Veranstaltung.«
»Soll ich für Sie anrufen?«
Nein danke, meinte Helen, das schaffe sie schon. Sie stand auf und erledigte den Anruf, wobei sie klarmachte, dass sie eine Kollegin war.
»Lassen Sie mich wenigstens hierbleiben, bis die Jungs fertig sind«, sagte Deering, nachdem sie aufgelegt hatte. »Dann kann ich Ihnen beim Aufräumen helfen.«
»Das ist wirklich nicht nötig.«
»Es ist kein Problem, ehrlich«, sagte er. »Ich wollte ohnehin mit Ihnen reden.«
»Okay … tut mir leid«, sagte Helen, als sie merkte, dass sie Deering gar nicht gefragt hatte, warum er gekommen war.
Easy mochte Burger und Hühnchen, so wie die anderen auch, nur aßen die Jungs selten etwas anderes. War natürlich auch eine Zeitfrage – man konnte schnell was essen und sich gleich wieder ums Geschäft kümmern -, aber trotzdem kauften sie sich nur Scheiße. Sie gaben vierstellige Summen für Ketten aus und fürs Essen keinen Fünfer. Das machte keinen Sinn.
Man konnte Ketten oder protzige Armbanduhren nicht essen.
Manchmal hatte er Lust auf ein richtig gutes Essen, egal, was es kostete, etwas, das nicht sofort auf dem Tisch stand, dazu ein Glas Champagner, wenn er gerade bei Kasse war, oder ein Glas Wein – in einem dieser Schuppen, wo sie erst einen kleinen Schluck zum Probieren einschenkten. Das war wichtig, man musste dabei rüberkommen, als wäre man das gewohnt.
Wenn er nicht gerade ein Mädchen anbaggern wollte, aß er lieber allein. Nicht dass er dabei nicht gesehen werden wollte, aber er genoss das Essen und wurde ungern abgelenkt. Small Talk im Hamburgerschuppen war okay, aber hier wollte er sich auf das Essen konzentrieren, und er konnte sich nicht entspannen, wenn er sich dabei Quatsch anhören musste. Leute, die das konnten, hatten ihn schon immer beeindruckt – einfach allein dasitzen und essen. In seinen Augen waren sie etwas Besonderes, denn sie fühlten sich wohl in ihrer Haut.
Er fuhr hinüber zu Brockley, einem französischen Restaurant, über das er in einer Zeitung gelesen hatte. Ein Bistro oder so was. Es war nicht so hip wie die Restaurants, die er im Westen ausprobiert hatte, aber das Essen war gigantisch. Er aß Schnecken und Pastete und einen phantastischen Pudding, um den in einer dünnen Soße Baisers schwammen. In anderen Restaurants sahen die Kellner einen nur an und benahmen sich, als wäre ein Haufen Scheiße zur Tür hereingekommen. Aber die Frau, die ihn heute bediente, war nett,
auch wenn sie in etwa so französisch war wie er. Und er hatte ordentlich Trinkgeld dagelassen, wie immer.
Auf dem Weg zurück zum Auto überlegte er, ob er noch auf einen Drink im Dirty South vorbeischauen und checken sollte, wie dort die Stimmung war, ob sich die Lage ein wenig beruhigt hatte.
Er bog um die Ecke und sah so ein Arschloch an seinem Audi rummachen. Der bearbeitete das Fenster mit dem Schraubenzieher, als sei ihm alles egal.
»Fuck, was machst du da?« Easy fackelte nicht lange, er war bereit, den Typen plattzumachen. Der Mann trat einen Schritt zurück. »Du bist so gut wie tot, Alter. Du blöder Sack.« Er war fast bei ihm, als der Typ eine Knarre zog, und plötzlich war es Easy, der sich wie ein
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