Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
egal, dachte Helen, da Paul eingeäschert wurde. Ihr Traum fiel ihr ein, in dem Paul und Adam in einem Grab stritten – merkwürdig, dass sie von einer Beerdigung geträumt hatte.
Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass sie und Pauls Mutter je ein unfreundliches Wort gewechselt hätten. Die Umarmung, mit der Helen begrüßt wurde, war herzlich und Caroline Hopwood sagte, ihr Sohn »wäre stolz auf sie«. Auch wenn Helen sich nicht sicher war, wie sie das auffassen sollte. Sie standen in ihrem Wohnzimmer, und Pauls Mutter ging mit einer Flasche und Gläsern herum und sorgte dafür, dass jeder etwas zu trinken hatte oder zumindest etwas zu trinken angeboten bekam. Die meisten griffen zu einem kleinen Brandy, und Helen hörte, wie eine von Pauls Tanten davon sprach, sie brauche was Härteres, in Anbetracht der Situation eine unglückliche Wortwahl. Sie erzählte es ihrem Vater, und er lachte.
»Sie ist tapfer«, sagte er mit einem Blick auf Pauls Mutter, die von Grüppchen zu Grüppchen ging. Das war sein Satz des Tages, obwohl die Variationen über den gnädigen Wettergott zwischendurch einen guten zweiten Platz einnahmen.
Pauls Dad und seine Schwester waren ebenso herzlich, auch wenn sie nicht ganz so tapfer waren. Sie hatten allerdings auch weniger zu tun. Pauls Vater war zehn Jahre älter als seine Frau und eher schweigsam. Als Helen in die Küche ging, um zu sehen, ob sie sich nützlich machen konnte, schüttelte er langsam seinen kahlen Kopf und zog sie an seine Brust, um sie erst wieder loszulassen, als es hieß, die ersten Autos wären da.
»Ich kann das nicht«, sagte er. Er machte den Eindruck, als wolle er sich hinlegen und nie wieder aufstehen.
Die Fahrt zum Krematorium dauerte zehn Minuten. Helen, die mit ihrem Vater und Pauls Eltern in dem Mercedes saß, beobachtete die Reaktionen der Leute auf der Straße, als der Trauerzug an ihnen vorbeifuhr. Sie dachte zurück an die Beerdigung
ihrer Mutter, als die Leute stehen geblieben waren und den Kopf gesenkt hatten, ein Mann hatte den Hut gelüpft. Vielleicht macht man das nicht mehr, dachte sie. Vielleicht bedeutete der Tod eines Menschen nicht mehr so viel, da man daran gewöhnt war, Tod und Zerstörung live im Fernsehen zu sehen. Sie sagte etwas in der Richtung zu ihrem Vater, und er beugte sich zum Fenster, um mit ihr die Passanten zu beobachten.
»Vielleicht wissen die Leute einfach nicht mehr, was sich gehört«, sagte er.
Vor der Kapelle wartete bereits ein großes Polizeiaufgebot. Helen sah, wie Zigarettenkippen ausgetreten wurden, als ihr Auto in Sichtweite kam. Gary Kelly und Martin Bescott standen bei den anderen Kollegen aus Pauls CID-Team in Kennington. Sie sah Jeff Moody mit ein paar Kollegen und viele Polizisten in Uniform, Teil des offiziellen Polizeiaufgebots.
Der Fahrer half ihr aus dem Auto. Sie sprach mit ein paar Leuten. Wie hübsch die Anlage sei, Dinge in der Art, aber nichts davon schien ihr real.
Im Eingang zur Kapelle stellte sich Pauls Gebietsleiter vor und erzählte ihr, Paul sei ein hervorragender Beamter gewesen, der großartige Arbeit geleistet habe. Helen dankte ihm. Einen kurzen Augenblick fragte sie sich, ob er wohl über Operation Victoria informiert war, dachte sich dann aber, dass er vermutlich nur das sagte, was er bei solchen Gelegenheiten immer sagte, und dass er von Paul Hopwood noch nie gehört hatte, bis er das Memo erhielt. Sie wandte sich zu dem Leichenwagen um. Der Sarg wurde abgeladen. Aus dem Augenwinkel bekam sie mit, wie der Gebietsleiter einen Zettel aus der Brusttasche zog und einen letzten Blick auf die Rede warf, die er in ein paar Minuten halten würde.
Die Sargträger traten vor, jeder makellos in Galauniform. Der Bestattungsunternehmer gab ihnen leise ihre Anweisungen. Helen fand, sie sahen wunderschön aus – und nervös. Als
sie den Sarg schulterten, schaute sie hinüber zu Pauls Mutter, auf deren Gesicht sich Stolz und Trauer abwechselten.
Über dem Sarg lag eine Fahne der Metropolitan Police, und nun wurde Pauls Kappe daraufgelegt, hinter den einfachen Kranz aus weißen Blumen, den Helen ausgesucht hatte. Sie war sich der Blicke bewusst, die auf ihr ruhten, und fragte sich, wie sie wohl wirkte. Sie fühlte sich leer und schwer, als würde sie jeden Moment umfallen.
Sie lehnte sich an ihren Vater, als die Sargträger sich in Bewegung setzten. Sie gingen langsam im Gleichschritt, den Blick geradeaus gerichtet. Der Ausdruck auf dem Gesicht des Polizisten, der neben ihr war, traf sie ins
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