Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
ziemlich weggetreten. Der Junge blickte sich verwirrt um.
»Bekommt man hier was zu trinken, oder was?«
Der Mann am Tisch drehte sich um, aber Clive war bereits auf dem Weg zur Tür, schüttelte den Kopf und schwenkte
die Arme. »Tut mir leid, Kumpel, aber die Kneipe ist noch nicht offen.«
Der Junge brüllte was von wegen, die Tür sei doch offen, und fragte, ob er die Toilette benutzen könne, um dann, als man ihn vor die Tür schob, wilde Drohungen auszustoßen.
Clive schob den Riegel vor und wandte sich seinem Boss zu. »Mein Fehler. Ich hab nicht zugesperrt, nachdem Mr Hopwood reinkam.«
Die Antwort auf diese Entschuldigung ging in lautem Lärm unter, als ein Stein durch das Fenster geflogen kam. Clive bewegte sich für einen Mann seiner Statur schnell: Er war schon zur Tür hinaus, bevor der Stein gegen den Tresen knallte.
Paul stand auf und trat an die Tür, um zuzusehen. Clive hatte den Jungen, der zwischen den geparkten Autos abzutauchen suchte, an der Jacke gepackt.
Der Mann am Tisch hob eine Scherbe von der Plastiktischdecke auf. »Was soll man machen?«
Paul beobachtete Clive, der den Jungen gegen die Mauer drückte, sein Gesicht gegen den grauen Stein presste und ihm etwas ins Ohr flüsterte.
»Tut mir leid, Paul.« Der Mann stand vom Tisch auf und strich seinen Pulli glatt. »Ich bin so, wie ich bin.« Er machte ein paar Schritte auf ihn zu. » Du kannst auch anders. Du kannst den Leuten weismachen, du wärst jemand anders. Du hast diese Gabe. Ich nicht.«
Auf der anderen Straßenseite zwang Clive den Jungen langsam auf die Knie. Drückte ihm das Gesicht gegen die Wand, während der Kopf langsam nach unten glitt.
Paul sah den roten Fleck aus zehn Meter Entfernung.
»Nächstes Mal geht das Essen auf mich.« Der Mann trat zu Paul in die Tür. »Wie wär’s mit einem Dim Sum, oben im Westen? Ich weiß, dass du das magst.«
Paul sagte, das klänge gut, und deutete mit einem Kopfnicken auf die Straße. »Ich fürchte, du verlierst gerade einen möglichen Stammkunden, Frank.«
Als Paul ging, saß der Steinewerfer auf dem Bürgersteig und spuckte stöhnend Blut, wobei er seinen Mund abtastete. Er sah, wie Paul seinen Wagen aufsperrte, stand auf und fragte ihn, ob er ihn ins Krankenhaus fahren könne.
Paul warf seine Jacke in den Wagen. »Ich hab gesehen, was passiert ist«, sagte er. »Deine Beine hat er nicht angefasst, laufen kannst du noch.«
6
Helen lief im Pyjama und im Morgenmantel herum, seit sie vom Gesundheitszentrum zurück war. Sie war von Zimmer zu Zimmer gewatschelt, hatte aufgeräumt und sogar damit begonnen, die Küchenschränke sauber zu machen, hatte es dann aber wieder sein lassen. Wahrscheinlich machte es sie glücklicher, ihr eigenes Körpergewicht in Kartoffelchips und Milchschokolade zu vertilgen und die körperliche Betätigung auf das Drücken der Fernbedienung zu beschränken.
Sie sah ein wenig bei Deal or No Deal zu, verlor jedoch das Interesse, als die Kisten mit dem großen Geld geöffnet wurden, und dachte dabei über den Arztbesuch an diesem Nachmittag nach.
Alles im Plan und völlig okay, wie’s aussah …
Der Kopf steckte noch nicht im Geburtskanal, aber das konnte ab der sechsunddreißigsten Schwangerschaftswoche jeden Moment so weit sein, also bestand hier kein Grund zur Beunruhigung. Das Gewicht des Babys lag absolut im Plan. Okay. Ihr Blutdruck sei in Ordnung, hatte er gesagt. Okay, sehr gut. Sie nickte, als der Arzt die Werte herunterratterte,
und fragte sich, wie es wohl um seine Werte bestellt war. Er wirkte etwas rot im Gesicht, und die Frage drängte sich auf, ob er ein Fläschchen in seiner Schreibtischschublade versteckt hatte. Die Lunge des Babys sei inzwischen beinahe voll entwickelt, sagte er und atmete tief durch, als wolle er ihr demonstrieren, zu was Lungen nützlich waren. Und das schlaue Kerlchen wäre jetzt außerhalb der Frühgeborenenstation überlebensfähig. Im Augenblick würde er im Planet Mutterleib nur noch herumliegen und an Gewicht zulegen.
Helen holte sich noch eine Scheibe Käsetoast von dem Tablett neben ihr. Da wollte sie doch mitmachen.
Also alles wunderbar im Plan, doch dann fragte sie der Arzt, wie es denn ihr ginge.
Sie sah ihm an, dass er schon oft genug bei dieser Frage mit Tränen konfrontiert worden war und dass er ihre Tränen auf die Hormone zurückführte. Er bot ihr ein Papiertaschentuch an und fragte, ob sie mit jemandem sprechen wolle. Sie schüttelte den Kopf und putzte sich die Nase. Wie er wohl
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