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Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten

Titel: Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Billingham
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verständlicherweise nervös, aber durchaus herzlich. Dennoch hatte sie das Gefühl, dass das nicht typisch für ihn war, sondern dass er zu den Leuten gehörte, die man sich nicht gern zum Feind machte.
    »Wissen Sie schon, was es wird?«, fragte er. »Junge oder Mädchen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Haben Sie Namen?«
    »Nein.«
    Seinen Namen hatte sie vergessen, kurz nachdem er sich vorgestellt hatte. Er war nur eine Silbe lang, das wusste sie noch. Das passierte ihr in den letzten Tagen ständig. Nichts blieb hängen: Ganz gewöhnliche Wörter klangen unsinnig, und ihre Gedanken schweiften mitten im Gespräch ab.
    Ihr Kopf war zu sehr damit beschäftigt, Bilder zu malen: Blut und Glasscherben auf einem Bürgersteig; sie selbst mit einem Kleinkind an der Hand vor einem Grab.
    »Ich dachte, das gehöre zu diesen Großstadtmythen«, sagte sie. »Diese Scheinwerfersache.«
    »Ich glaube, das war auch so …« Sein Handy klingelte. Er nahm den Anruf entgegen, sah auf das Display und murmelte schon wieder »Tut mir leid«, bevor er auflegte und das Handy
in die Jackentasche steckte. »Ich glaube, es begann in Amerika, kam dann über das Internet oder so hier rüber.«
    Helen hatte das erste Mal vor ein paar Jahren davon gehört, eine Warnung, nachts in bestimmten Gegenden nicht aufzublenden, wenn einem ein Auto ohne Licht entgegenkam. Gangs könnten mit diesem grausamen Spiel ihre »Opfer« auswählen – das Auto, auf das das neue Mitglied schießen müsse, um in die Gang aufgenommen zu werden. Wahrscheinlich nur ein Mythos, aber ein schrecklich plausibler angesichts der Verwahrlosung dieser Gegenden. Jetzt lag ein Szenario vor, nach dem zumindest eine Gang diese Mutprobe für neue Mitglieder ausprobierte.
    »Anscheinend wechseln sie diese Initiationsriten, wenn sie ihnen langweilig werden«, sagte der DI, »oder zu leicht. Vor ein oder zwei Jahren ging es darum, Leuten Ammoniak ins Gesicht zu spritzen. Das war besonders bei Mädchen beliebt, weil sie das Zeug gut in der Handtasche verstecken konnten.«
    »Die Gang ist aus Nordlondon?«, fragte Helen.
    »Nicht unbedingt. Das Auto wurde in Catford gestohlen …« Er brach ab, als das Handy sich in seiner Jackentasche bemerkbar machte. Der Anrufer hinterließ eine Nachricht. »Dass die Schießerei auf dieser Seite der Themse stattfand, könnte auch auf Gebietsstreitigkeiten hindeuten. Vielleicht wollten sie jemanden wissen lassen, dass sie da waren.«
    »Bei einem Revierkampf müssten Sie doch die beteiligten Gangs kennen.«
    »Bislang ist uns von einem Revierkampf noch nichts zu Ohren gekommen. Ich will damit nur sagen, dass noch nichts abgesichert ist.«
    »Aber Sie wissen, mit wem Sie reden müssen?«
    »Natürlich arbeiten wir mit der Drugs Task Force zusammen. Die Leute helfen uns weiter, aber es gibt an die zweihundert Gangs in London, und wie gesagt …«

    »Sie sind nicht gerade gesprächig«, sagte Helen. »Ich weiß.« Sie überlegte kurz. »Gibt’s was Neues aus der Forensik?«
    »Als wir den Chevrolet Cavalier fanden, war er ausgebrannt. Das wird uns vermutlich nicht weiterbringen. Der BMW wird noch untersucht.«
    »Wo?«
    Der DI hatte die Frage nicht gehört oder nicht hören wollen. »Den vorläufigen Bericht haben wir bereits, aber auf die ballistische Auswertung warten wir noch.« Er sah sie an. »Wir machen da wirklich Druck, Helen.«
    Sie nickte. Natürlich taten sie das. Das war immer so, wenn ein Kollege betroffen war. Aber aus seiner Pause schloss sie, dass sie sich keine großen Erkenntnisse davon erwarteten. Mit Sicherheit nichts, was sie nicht schon wussten. An Augenzeugen herrschte kein Mangel. Alles war bezeugt: von dem Augenblick, als der BMW aufblendete, über die Schüsse, die aus dem Cavalier gefeuert wurden, bis hin zu dem Moment, als der BMW auf den Bürgersteig fuhr und in die Bushaltestelle krachte. Sie hatten Uhrzeiten, Kennzeichen, ein paar vage Beschreibungen.
    Nur die Verantwortlichen hatten sie nicht, ansonsten war der Fall wasserdicht.
    »Was ist mit den anderen Leuten an der Bushaltestelle?«, fragte Helen.
    »Nun, DS Kelly, den Sie ja kennen, soviel ich weiß, kam mit ein paar Schnittwunden und Prellungen davon. Genauso der zweite Mann. Herumfliegende Glassplitter …«
    »Und die Frau in dem Wagen?«
    Hatte sie am Schluss die Augen geschlossen, als sie ihn umfuhr? Riss sie die Arme hoch, um sich zu schützen, oder sah sie Pauls Gesicht, als er über ihre Motorhaube flog?
    »Ihr geht es so weit ganz gut, denke ich.

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