Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
ihn rein, Alter«, sagte Mikey.
Theo schob die Riegel zurück, öffnete die Tür, und Ollie platzte ins Zimmer.
Helen legte eines von Pauls alten Queen-Alben auf, während sie putzte. Sie machte die Musik lauter und sang mit. Sie verrückte die leichteren Möbelstücke, um darunter staubsaugen zu können, und putzte alle Fenster und Spiegel mit Essig. Sie leerte den Kühlschrank und wischte ihn aus, sie wischte die Wände und die Küchenschränke ab. Sie hätte den Boden auf Knien und Händen gewischt, aber da war ihr ihr Bauch im Weg.
Als sie alles geputzt hatte, war sie schweißgebadet. Sie setzte sich vor den Fernseher, bis es dunkel wurde. Sie spürte, wie sich das Baby bewegte, und versuchte zu weinen.
Nicht dass sie nicht gewusst hätte, dass die Tränen oft als Letztes kamen. Sie hatte bei vielen Menschen gesehen, wie sie auf Schicksalsschläge reagierten und wie unterschiedlich sie reagierten. Manche schrien, lachten oder schlugen fluchend
um sich. Oft schwiegen sie nur, als ginge eine Jalousie runter … zumindest anderen gegenüber. So war es bei ihr: Sie setzte sich im Bett auf und suchte nach dem Lichtschalter, als Samstag früh um halb fünf das Telefon klingelte.
Sie lauschte und spürte, wie sich in ihr leise ein Schalter umlegte.
Natürlich würden die Tränen irgendwann kommen, andererseits war es vielleicht auch eine Form der Trauer, Dinge zu putzen, die bereits sauber waren, und dabei so lange zu scheuern und zu schrubben, bis die Hände wund wurden. Es war schon merkwürdig, da hatte sie die letzten Monate so oft wie ein Kind geheult, und jetzt brachte sie keine einzige Träne heraus, obwohl sie es sich so wünschte.
Als hätte sie keine Tränen mehr.
Jenny hatte ihr gestern einen Topf Suppe vorbeigebracht – sie war zu allem anderen auch noch eine fabelhafte Köchin -, und nachdem Helen gegessen und abgespült hatte, hatte sie sich hingesetzt und sich die Plastiktüte vorgenommen, die sie aus dem Becke House mitgebracht hatte.
Pauls persönliche Sachen: der Anzug und das Hemd, die die Spurensicherung nicht mehr brauchte; Schuhe, Socken, Unterwäsche, die Aktentasche und der Schirm, die Brieftasche, die Autoschlüssel und das Handy. Sie breitete alles fein säuberlich auf dem Tisch aus, legte das Hemd zusammen, um die Blutflecken am Nacken nicht sehen zu müssen, und versuchte, ein paar Entscheidungen zu treffen.
Sie wollte den Anzug reinigen lassen und in die Kleidersammlung geben. Sie musste so bald wie möglich sämtliche Klamotten Pauls aussortieren und sich überlegen, was er tragen sollte, wenn es so weit war. Seinen blauen Anzug und ein weißes Hemd. Oder seine Dienstuniform, wenn die anderen das besser fanden. Sie würde morgen mit dem Autoschlüssel rüber nach Kennington fahren.
Und Pauls Auto holen.
Darüber nachdenken, ob sie es nicht verkaufen sollte.
Ihr Handy hatte sich selbst ausgeschaltet. Sie holte das Ladegerät, das auf Pauls Bettseite eingesteckt war, und lud den Akku auf. Der letzte Anruf war der gewesen, den sie während der Heimfahrt von Katie bekommen hatte, das war etwa eine Stunde vor dem Unfall gewesen.
Sie hatte sich die Nachricht seither zwanzig- oder dreißigmal angehört.
»Ich bin’s. Sind auf dem Weg zu Garys Wohnung … versuchen ein Taxi oder einen Nachtbus oder was zu kriegen.« Im Hintergrund sang jemand. »Sei ruhig. Tut mir leid … das ist Kelly, führt sich auf wie ein Idiot. Bis morgen Nachmittag, okay?« Wieder lautes Gebrüll, und dann lachten beide. »Na, wahrscheinlich wird’s eher Abend …«
Sie wusste genau, welches Gesicht er dabei schnitt, als er das sagte.
Sie blinzelte und sah sein Gesicht vor sich, blass und leer, auf dem weißen Tuch in der Leichenhalle. Sie hatten ihn frisiert. Seine Mutter hatte ihm mit den Fingern durch die Haare gestrichen und gemeint, sie habe es immer gehasst, wenn er zu ordentlich frisiert war.
Ihr Blick fiel auf den Umschlag in der Ecke des Displays. Eine ungelesene Textnachricht. Sie rief sie auf.
Eine Nachricht von »Frank«, die am Tag zuvor eingegangen war. Was ist nächste Woche mit dem Chinesen? F.
Pauls Mutter und Vater hatten darüber gesprochen, eine Todesanzeige in die Zeitung zu setzen, aber sie hatten sich nicht entscheiden können, in welche. Sie hatten ein paar Leute angerufen und darum gebeten, die Nachricht weiterzugeben. Wahrscheinlich hatten sie so die meisten engeren Freunde Pauls erreicht. Sie hatte schon daran gedacht, sein Adressbuch durchzusehen – vielleicht gab es ein
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