Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
konnte Clive ein Auge auf die Arbeit im Pub haben.
Auf dem Heimweg hatte er sich eine Zeitung besorgt.
Im Büro unten hatte er die ganze Geschichte zweimal durchgelesen: den Aufreißer auf der Titelseite und den ausführlichen Bericht drei Seiten weiter, den Kasten mit der Reaktion des Commissioners und dem Aufruf, sich mit Hinweisen an die Polizei zu wenden, den zusätzlichen Kommentar, in dem die schockierende Vernichtung eines Menschenlebens verdammt und die Forderung erhoben wurde, endlich entschlossen gegen die Drogengangs vorzugehen.
Gestern Abend, als Pauls Freundin anrief, hatte er ein paar Tränen verdrückt. Jetzt war es wieder so weit. Er genehmigte sich noch einen Drink, bevor er die Geschichte ein drittes Mal las. Schob alles beiseite, damit er klar denken konnte.
Durch die offene Tür sah er seine Schwester die Treppe herunter- und in die Küche schweben. Er rief, er sei in einer Minute fertig, und wandte sich wieder der Zeitung zu.
Es gab nur noch sie beide, nachdem seine Mutter vor achtzehn Monaten in dem Keller, den er in eine Einliegerwohnung hatte umbauen lassen, gestorben war. Nur ihn und Laura, die in dem großen Haus in Blackheath herumgeisterten. Aber Frank war es recht so. Er wusste, was die Leute für dummes Zeug über seine Wohnverhältnisse verbreiteten – natürlich hinter seinem Rücken, immer hinter seinem Rücken -, aber die Meinung der anderen war ihm schon lange egal, und es gefiel ihm so, wie es war.
Bevor sie gestorben war, hatte seine Mutter ihn gedrängt,
die Kellerwohnung zu renovieren und zu vermieten. Doch er war auf das Geld nicht angewiesen und wollte keine fremden Leute im Haus haben. Wenn er nicht da war, machte ein russisches Mädchen sauber. Und eine Frau namens Betty kam jeden Montag, um für die Woche vorzukochen und den Gefrierschrank mit Pies, Eintöpfen, Nudelgerichten und Früchtecrumbles zu füllen.
Nicht gerade gut für sein Gewicht, aber was soll’s.
Er brauchte keine Gesellschaft, das war kein Problem für ihn. Er hatte immer genug Jungs um sich, mit denen er Geschäftliches zu bereden hatte. Und es gab schwierigere Zeiten, das konnte über Wochen gehen, da zog Clive mehr oder weniger hier ein. Aber auch wenn es ruhig war, genügte ein Telefonanruf, und es kam ein Kumpel, um gemeinsam mit ihm was zu trinken oder fernzusehen.
Was immer die Leute dachten oder quatschten, ihm gefiel es so. Und wie Frank es Clive und jedem, der es hören wollte, erklärte, er sei »viel zu alt und hässlich, um daran noch was zu ändern«.
Er schaltete den CD-Player ein – etwas von Elgar, das er mochte – und starrte auf die Titelseite. »POLIZEIBEAMTER OPFER EINES BANDENKRIEGS. AUFBLENDLICHT FÜHRT ZU TRAGÖDIE.«
Ein Foto der Bushaltestelle war abgebildet, an der sich das Unglück ereignete. Der Metallrahmen war verbeult, und im Rinnstein lagen die Glassplitter wie Eis. Die Absperrung war zu sehen und ein gelbes Schild auf der Straße, das vor der Unfallstelle warnte. In dem ausführlichen Artikel wurde der Tathergang mittels einfacher Zeichnungen erklärt. Sah irgendwie aus wie ein Cartoon: ein Strichmännchen, das mit einer Pistole aus dem Seitenfenster von Auto A zielte; eine gezackte Linie stellte dar, wie Auto B die Beine eines zweiten Strichmännchens auf dem Bürgersteig traf.
Jetzt verstand er, warum Pauls Freundin sich so vage über den »Unfall« ausließ. Die Ärmste. Sie klang nett, fand er. Nicht dass er sich Paul mit einer Frau hätte vorstellen können, die nicht nett war.
Er hörte noch ein paar Minuten Musik; schloss die Augen und dachte darüber nach, wie er am besten vorging, wie sich die Sache am effektivsten regeln ließ. Er dachte über Strichmännchen auf Knien nach, die um ihr Leben bettelten, um kurze Zeit darauf mit einem Loch im Kopf in einer feuchten Grube zu landen.
Dann ging er rüber in die Küche und überlegte, ob er sich eine Lasagne auftauen sollte, wenn noch eine da war.
»Werden sie ihn wegen Mordes anklagen? Kriegen sie ihn überhaupt?«
»Sie werden es mit Mord probieren, wahrscheinlich wird es auf Totschlag hinauslaufen.«
»Ich weiß immer noch nicht genau, was der Unterschied ist.«
»Aber sie werden ihn nicht kriegen«, sagte Helen.
Sie hatte sich mit Jenny in einem Pizza Express in Waterloo verabredet und war ganz wild darauf, über die Ermittlung zu reden, über Handfestes. Vielleicht dachte sie, dass es ihrer Schwester leichterfiele, über Arbeitsrelevantes zu sprechen, als über andere Probleme.
»Ich bin
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