Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
sich innerlich über diese Frau, die weitaus mehr unter Pauls Tod zu leiden schien als sie.
In der Wohnung liefen die Geschäfte träge, seit Theo eingetroffen war. Aber sie liefen schon seit ein paar Tagen schlecht. Die Polizei auf der Straße reichte nicht – würde nie reichen -, um sie ganz zum Erliegen zu bringen, doch es gab immer ein paar Dealer, die einen Tick vorsichtiger waren, ein paar Kunden, die lieber woanders einkauften, wo mehr Kapuzenträger unterwegs waren als Uniformträger.
Theo verfolgte die Sendung auf MTV. Ein Rap-Star, von dem er noch nie gehört hatte und der mit seinem lila bezogenen Pooltisch angab, während ein Kid namens Sugar Boy in der Küche herumfuhrwerkte, um für sie beide Tee zu machen. Auf dem Couchtisch lag eine Handfeuerwaffe, neben Theos Handy und dem Notizbuch, in dem er die Geldeinnahmen und Warenausgänge notierte.
»Falls das Finanzamt die Unterlagen einsehen will«, hatte Wave gemeint.
Aus der Küche war lautes Fluchen zu hören, dann: »Mann, die Milch stinkt schon.«
»Ich brauch keine«, rief Theo.
Er wollte noch eine halbe Stunde bleiben und dann nachschauen, was seine Mutter machte. Dass sie ihn sehen wollte, wusste er, und auch, dass sie genug für Sonntagmittag gekocht hatte, um die halbe Siedlung satt zu kriegen. Eine Stunde oder so reichte, um ihr eine Freude zu machen. Auch wenn sie enttäuscht sein würde, dass Javine und der Kleine nicht mitkamen. Dafür würde er sich was anhören müssen.
Auf dem Weg hinüber in die Wohnung kam er an der Stelle vorbei, wo Mikey umgebracht worden war. Eine Handvoll welke Blumensträuße lehnten an der Mauer oder lagen im Rinnstein. Auf den meisten Trauerkarten war die Tinte verlaufen, vor allem auf denen seiner Angehörigen, und auch die SMS-artigen Sprüche derjenigen, die ihn weniger gut kannten.
»RIP, Mikey. Du warst der Beste. Tot, aber nicht vergessen.«
Und so weiter.
Am Samstag hatte es eine kleine Trauerfeier gegeben, von der stammten die Blumen. Theo hatte keine gebracht. Blumen waren irgendwie nicht richtig für einen Typen, der das gemacht hatte, was Mikey mit dieser Nutte gemacht hatte. Aber er hatte Mikeys Mutter umarmt, gleich nachdem er seine eigene umarmt hatte. Dabei hatte er befürchtet, sie würde ihm die Rippen zerquetschen, so hatte sie sich an ihn geklammert und ihm mit ihrer heiseren Stimme Scheiße ins Ohr geflüstert.
Ein paar Leute hatten was gesagt, Jugendarbeiter und Gemeindevertreter oder so was, und Mikeys Mutter wurde ganz verlegen, als sich die Leute nach ihr umwandten. Aber sie hielt keine von diesen Reden. Von wegen, was für ein guter Junge Mikey gewesen wäre und dass er nie was mit Drogen oder so zu tun gehabt hätte. Theo kannte Mikeys Mum schon ewig, und sie war nicht blöd. Die machte sich selbst und anderen nichts vor. Wie seine eigene Mutter.
Theo wusste nicht, wer es tun würde, aber sie hatten eine Mauer ausgesucht, wo Mikey aufgewachsen war – und wo er auch erschossen worden war -, und wollten als Tribut an ihn ein schönes Bild sprühen lassen. Wenn es fertig war, sollte jeder aus der Gang sein Tag hinterlassen. Damit allen klar war, sie hielten zusammen.
Sugar Boy kam aus der Küche und stellte eine Tasse vor
Theo auf den Tisch. »Ich hab Puderzucker im Schrank gefunden.« Auf seinem Tee schwammen weiße Kügelchen.
Theo sagte: »Danke«, und zappte durch die Fernsehkanäle, während er Sugar Boy dabei zusah, wie er mit der Waffe spielte. Der Junge hatte schon den ganzen Vormittag daran herumgefummelt, als hätte er die Titten seiner Freundin in der Hand, und dabei davon geschwafelt, dass die für Mikey zahlen sollten. Wobei er Theo ansah, als solle dieser sich seiner Meinung nach darum kümmern. Als sei er der mit dem Ruf wegen, du weißt schon …
»Den Arschlöchern sollte man zeigen, wer wir sind, Alter«, sagte Sugar Boy. »Ihnen einen Denkzettel verpassen.«
Nicht dass jemand gewusst hätte, wer genau die Arschlöcher waren.
Im Fernsehen redete ein alter Knacker in einem schicken Anzug über eine Geschäftsgelegenheit, und Theo dachte, wenn er genug Geld beisammenhätte, könnte er eine solche Gelegenheit brauchen. Und dass es eine Schande war, dass er eine Sauklaue hatte und nicht einmal ein Strichmännchen zeichnen konnte.
Er setzte nämlich darauf, dass die nächste Boombranche Graffiti für Typen wie Mikey waren.
22
Das Badezimmer in Sarah Rustons Haus war genauso geschmackvoll wie der Rest: Holz und Chrom, Flaschen aus Milchglas. Helen
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