Tom Thorne 09 - Das Geständnis des Toten
sie und verzog sich. Als er weg war, lächelte Ruston und senkte verschwörerisch die Stimme. »Er gibt sich große Mühe. Er macht sich Sorgen, verstehen Sie? Sie haben ihn ja vorhin gehört.«
»Das muss entsetzlich gewesen sein. Im Auto.«
Ruston nickte. Sie sah aus, als habe sie noch immer Angst. »Es ging alles so unglaublich schnell. Ich weiß, das sagen alle, aber dieses Auto war neben mir, und dann fielen auch schon die Schüsse. Das Nächste, an das ich mich erinnere, war, dass ich im Krankenwagen saß.«
Wahrscheinlich erinnerte sie sich so daran, dachte Helen. In Anbetracht dessen, mit wem sie hier bei einer Tasse Kaffee respektive Tee plauderte, konnte man ihr schlecht Selektivität vorwerfen.
Dann pflügte ich in diese Bushaltestelle, und ich seh es direkt vor mir, wie Ihr Freund über meine Kühlerhaube fliegt …
»Es tut mir leid«, sagte Ruston. Sie schien wieder den Tränen nahe.
»Was machten Sie in Hackney?«, fragte Helen.
Das hielt die Tränen in Schach. Ruston starrte Helen an, als verstehe sie einen Witz nicht. »Was hat das denn damit zu tun?«
Verlegen zwang sich Helen zu einem Lachen. »Das ist wohl der Bulle in mir. Routinefragen und so.«
»Wollen Sie auch wissen, ob ich was getrunken habe?«
»Es tut mir leid. Bitte seien Sie nicht …«
»Ich hatte ein Glas Wein intus und war weit unter dem Limit. Das weiß ich ganz sicher, weil mir Ihre Kollegen im Krankenhaus eine Blutprobe entnahmen. Wie nett von ihnen.«
»Das ist eine Standardmaßnahme.«
»Ich war auf dem Heimweg von einem Freund«, sagte Ruston.
Helen nickte, noch immer verlegen, und sie stellte sich die Frage, die Rustons Partner vermieden hatte. Warum, um alles in der Welt, saß sie hier und plauderte mit dieser Frau? Sie dachte an das, was Deering gesagt hatte. Wie es ihm geholfen hatte, mit Leuten zu reden, die mit seiner toten Frau zu tun gehabt hatten. Das traf sicher nicht auf Helen zu, dennoch konnte sie nicht anders. Sie hätte unmöglich ahnen können, was sie über Paul herausfinden würde, mit welchen Zweifeln und Verdächtigungen sie sich würde herumschlagen müssen, aber durch dieses Gespräch würde sie sich nie und nimmer besser fühlen. Vielleicht ging es ja genau darum.
Bestrafte sie sich für das, was sie getan hatte?
»Dachten Sie, Sie würden mich hassen?«
Helen blinzelte, als hätte Ruston ihre Gedanken gelesen. »Ich habe daran gedacht«, sagte sie, »dass so etwas passieren könnte, aber das wäre natürlich dumm. Sie überfuhren Paul
mit Ihrem Auto, aber es war nicht Ihre Schuld. Der Mann, der auf Sie schoss, hat Paul umgebracht.« Ruston nickte, als sei sie dankbar. »Haben Sie ihn gesehen?«
»Ich sagte bereits, es ging alles so verdammt schnell. Trotzdem hab ich Hunderte von Fotos durchgeschaut. Aus der Verbrecherkartei oder was auch immer. Nach einer Weile sahen die Kerle alle gleich aus.« Ruston fasste sich erschrocken ans Gesicht. »Gott, ich hab das nicht … irgendwie rassistisch gemeint. Ich war müde und bis oben zu mit Schmerzmitteln. Himmel, ich bin noch immer voll mit Schmerzmitteln.«
Helen winkte ab, und sie brachten beide ein Lachen zustande. Die Sonne fiel durch die großen Fenster an beiden Seiten des Raumes und wurde von dem polierten Parkett zurückgeworfen. Die Musik aus der Küche und von oben war verstummt, und für einen kurzen Moment war es still.
Helen trank ihren Tee aus und sagte: »Er war sternhagelvoll.«
»Wer?«
»Sie sagten, Sie seien weit unter dem Limit gewesen, Paul ganz sicher nicht. Er war bei einem Abschiedsbesäufnis von einem Kollegen, wo man sich den ganzen Abend mit Bier volllaufen lässt. Wenn er nicht so betrunken gewesen wäre, hätte er vielleicht ausweichen können. Ich weiß es nicht.« Sie sah sich nach einem Platz um, wo sie ihre leere Tasse abstellen könnte. Schließlich beugte sie sich vor und stellte sie auf den Boden. »Wie auch immer …«
»War er ein guter Typ?«
Helen dachte an die Affäre. An Pauls Gesicht, als er es herausgefunden hatte. An sein Gesicht vor acht Tagen, weißer als das Leichentuch im Leichenschauhaus. »Zu gut für mich«, sagte sie.
Ruston holte tief Luft, um explosionsartig loszuschluchzen. Sie versuchte verzweifelt, sich zu beruhigen, starrte auf
ihre Füße und erklärte Helen, wie leid ihr das alles tue. Sie brachte die Worte nur mit Mühe heraus.
Helen zog noch mehr Papiertaschentücher aus ihrer Handtasche und reichte ihr eine ungeöffnete Packung. Dabei nickte sie beruhigend und ärgerte
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