Tom Thorne 10 - Tödlicher Verdacht
gab sich allerdings größte Mühe zu beschreiben, wie verzweifelt die Witwe des Mannes war.
»Das ist schrecklich«, sagte Anna schließlich. »Aber es macht eigentlich keinen Unterschied.«
»Was?«
»Dieser Mann, hinter dem Sie her sind, tötet nur Leute, die ihm schaden können, Zeugen und so. Er …«
»Versuchen Sie jetzt nicht, es so klingen zu lassen, als wäre er vernünftig .« Thorne sprach in ruhigem, aber bestimmten Tonfall. »Er ist alles andere als vernünftig.«
»Er ist ein Geschäftsmann, oder?«
»Er hat Menschen getötet, Anna.«
»Aber es gibt keinen Grund, warum er jemals …«
»Sie dürfen nicht davon ausgehen, dass Sie wissen, wozu Typen wie Alan Langford bereit sind«, sagte Thorne. »Das ist eine Grundregel. Man darf niemals von etwas ausgehen.«
Anna lachte, doch es klang aggressiv wie eine Ohrfeige. »Sie gehen die ganze verdammte Zeit von irgendwas aus!« Sie stellte ihr Glas schwungvoll ab und verspritzte dabei Wein auf der Tischplatte. »Sie gehen davon aus, dass ich Angst habe und überfordert bin und dass ich alles vermassle. Sie gehen davon aus, dass Sie mir einfach Arbeit wegnehmen können, und dann sitzen Sie da wie irgendeine … Autorität , obwohl Sie genau die gleiche Null sind wie alle anderen.« Sie stand auf, schüttelte den Kopf und beugte sich dann vor, um mit einer Serviette den verschütteten Wein aufzutupfen, während sie mit der anderen Hand nach ihrer Tasche und ihrer Jacke tastete. »Und das Schlimmste von allem, das Bescheuertste von allem ist, Sie gehen davon aus, dass ich Sie genug mag, um Ihnen das durchgehen zu lassen.«
Thorne sah ihr hinterher, als sie ging, sich an einem Pärchen im Eingang vorbeischob, eine Lücke im Verkehr abwartete und dann über die Straße lief. Dabei schwang ihr Haar, und ihre Tasche prallte ihr gegen die Hüfte.
Auch wenn die Sache unangenehm gewesen war, Thorne nahm an, dass er erledigt hatte, wofür er gekommen war.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Louises Souterrain-Apartment in Pimlico unterschied sich stark von Thornes Wohnung in Kentish Town. Es war größer und moderner, hatte klare Linien und verfügte über eine Einrichtung, die weniger abgewohnt wirkte als Thornes zehn Jahre alte Ikea-Kollektion. Außerdem war es wesentlich unordentlicher als Thornes Wohnung, worüber sich niemand mehr wunderte als er selbst. Seit Louise regelmäßig bei ihm übernachtete, war er in dieser Hinsicht viel penibler geworden, was man von ihr nicht behaupten konnte. Thorne konnte es kaum fassen, dass es sich bei der schonungslos effizienten Detective Inspector der Entführungseinheit und der Frau, die einen großen, ausschließlich mit Plastiktüten vollgestopften Schrank besaß und in deren Badezimmer – wenngleich dieses besser roch als sein eigenes – es aussah wie nach einer Explosion in einer Kosmetikfabrik, um ein und dieselbe Person handelte.
Thorne hatte den Eindruck, dass sie anders aufeinander reagierten, wenn sie sich in Pimlico aufhielten, dass die Dynamik zwischen ihnen leicht verändert war. Vermutlich war es in der umgekehrten Situation genauso, doch in letzter Zeit schien sich Louise wesentlich wohler zu fühlen, wenn sie bei ihr waren; in jeder Hinsicht mehr zu Hause.
Oder es war ihm bislang einfach noch nie aufgefallen.
Nachdem sie sich inzwischen beide in ihrer eigenen Wohnung so wohlfühlten, fragte sich Thorne, ob die Idee, irgendwo anders zusammenzuziehen, jemals wieder zur Sprache kommen würde oder sollte . Sie hatten sich überlegt, eine Wohnung zu verkaufen und die andere zu vermieten, und sich dann, da Thorne noch Geld aus dem Verkauf des Hauses seines Vaters ein paar Jahre zuvor übrig hatte, weiter im Norden, in Hertfordshire vielleicht, eine gemeinsame Wohnung zu kaufen. Doch womöglich war der Zeitpunkt dafür verstrichen.
Louise kochte Nudeln, fügte einer Arrabbiata-Sauce von Sainsbury’s, eine Dose Thunfisch und schwarze Oliven hinzu, und sie aßen an dem kleinen Tisch in der Küche.
»Ich wollte dir noch sagen, dass Elvis heute Morgen schon wieder gespuckt hat.«
»Scheiße«, sagte Thorne.
»Du musst mit ihr zum Tierarzt.«
»Hast du ihr viel Futter hingestellt?«
»Zwei Schalen Trockenfutter«, sagte Louise. »Für heute Abend und für morgen früh.«
»Wahrscheinlich hat sie sich nur irgendein Virus eingefangen.«
Thorne hatte die Katze vor vielen Jahren von einem Mordopfer geerbt, von einer Frau, die der Katze ihren Namen gegeben hatte, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass es
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