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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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katholischer Friedhof?« Wie immer, wenn sie, voreingenommen oder nicht, ein Thema anschnitt, das ihr zu schaffen machte, rieb sie sich erst mit Daumen und Zeigefinger kräftig über die Nase. »Das verstehe ich nicht.«
    Ich wußte, daß ich ihr mit meiner katholischen Herkunft nicht zu kommen brauchte, denn der hatte ich, auch in ihrem Beisein, öfter und gründlicher abgeschworen, als ein paar Spritzer Taufwasser, die Erste Kommunion und sage und schreibe eine (1) Beichte erforderten. Tonio besaß eine jüdische Mutter von zwei jüdischen Großeltern, also hätte eine jüdische Beerdigung nahegelegen. Die Katholiken beteten nicht nur zu einem falschen Erlöser, sie beschuldigten die Juden auch noch, diesen Erlöser ans Kreuz gebracht zu haben. Nur mal ‘ne Frage .
    Auf dem Friedhof, wo sie Tonio zurief, sie werde sich bald zu ihm gesellen, hatte sie mir leid getan. Jetzt verspielte sie wieder alles mit ihrer per Hand aktivierten Einmischerei. Ich hatte keine Lust, ihr noch einmal zu erklären, unsere Entscheidung für den Friedhof Buitenveldert habe nichts mit Religion zu tun, sondern allein mit dem Umstand, daß es eine kleine, unauffällige Begräbnisstätte war, wo sich keine Paparazzi auf den Bäumen tummeln würden.
    »Es ist seit langem das erste Mal, Wies«, sagte ich lachend, aber es war mir ernst, »daß du wieder für den jüdischen Glauben eintrittst.«
    Ich konnte sagen, was ich wollte, sie hörte selten oder nie zu. Schon wieder polierte sie ihre Nase für die nächste herausfordernde Frage. Ihre Betreuerinnen standen mit einem Brötchen im Eßzimmer, in das die Sonne lodernd fiel. Sonst hatten alle im Wohnzimmer Platz gefunden. Es wurde gegessen, getrunken und geredet.
    »Die Frage ist«, sagte meine Schwiegermutter mit gebrochener Stimme, »kannst du jetzt noch schreiben?« Und schon weniger als Frage, sondern als Feststellung: »Wie soll das jetzt mit deiner Arbeit weitergehen …!«
    Himmel, nein, mußte das an dem Tag sein, an dem ich meinen Sohn beerdigt hatte: daß die Frau, die so viele Jahre gezweifelt hatte, ob ich ihre Tochter ernähren könne, und die bei jedem kleinen Erfolg jammerte: »Wenn das bloß so bleibt«, daß die sich jetzt Sorgen um den Fortgang meiner literarischen Arbeit machte. Ich wurde von einer der beiden Pflegerinnen gerettet, die erklärte, es werde Zeit, ins Sint Vitus zurückzufahren. Die beiden Betreuerinnen hatten dort noch zu tun.
    »Wies, vielleicht kannst du schon mal anfangen, dich zu verabschieden«, sagte die Frau, die sich mir als Brigitte vorgestellt hatte.
    »Also, hört mal«, fuhr Wies hoch, nach ihrer Nase greifend, sie aber nicht polierend, »von Natan werde ich mich nicht verabschieden. Was denkt ihr euch bloß?«
    Ihr Gesicht nahm einen rabiaten Ausdruck an, der dem Anlaß nicht angemessen war.
    »Brigitte sprach ganz allgemein von Verabschieden«, sagte ich. »Dann laß Natan doch als einzigen aus.«
    Da waren zwei Menschen, die im Krieg ihre Familie zum Teil (Wies) oder ganz (Natan) verloren hatten, und dann gab der eine bei der Beerdigung des einzigen Enkelkinds giftig zu verstehen, er wolle dem anderen nicht mal die Hand geben. Ich brauchte einen Schnaps. Auf dem Weg in die Küche dankte ich Brigitte und Margreet für ihre Hilfe. Ich nahm mir vor, beiden Frauen später Blumen zu schicken.
    In der Küche trödelte ich so lange herum, bis ich sicher war, daß die Abordnung aus dem Sint Vitus verschwunden war. Zurück im Wohnzimmer, prüfte ich, ob die übriggebliebenen Gäste gut versorgt waren. Vor Dick, den ich nie trinken sah (nur dann und wann nostalgisch an einem Flachmann Whisky riechen, in Erinnerung an vergangene alkoholische Zeiten), hatte Mirjam eine volle Flasche Wermut hingestellt. Ich drückte meine Verwunderung darüber aus.
    »Sonst übersteh ich diesen traurigen Tag nicht«, sagteDick. »Das Problem ist nur … wenn ich gelegentlich trinke, nehme ich immer das Scheußlichste vom Scheußlichen … süßen Wermut … dann hört es irgendwann von allein auf. Aber Mirjam hat mir eine ganze Flasche Noilly Prat vorgesetzt. Und der schmeckt mir sogar.«
16
     
    Immer wieder eine erstaunliche Erfahrung, das aufgedrehte Reden und Trinken beim Beisammensein nach einer Beerdigung. Ich versuchte, mich daran zu beteiligen, aber so fast schon ungerührt locker ich mich bei der Beisetzung gegeben hatte, so verkrampft war ich jetzt: Vielleicht ließ die Wirkung der Pille nach. Ich versuchte, der Starre mit kalten Wodkas zu begegnen, doch meine

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