Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
Vom Netzwerk:
welch ausgewrungener Spüllappen ich mir schon seit gut eineinhalb Jahren vorkäme, viel schlimmer, als ich ihr bisher zu gestehen gewagt hätte, und ein welch unerträgliches körperliches Verlangen, Vater zu werden, ich in mir wachsen fühlte. Meine krankmachende Müdigkeit habe die Erwartung in mir genährt, daß ein Kind mir meine Energie wiedergeben könne.
    »Wenn es so um dich steht«, sagte Mirjam, »dann ist das wohl der denkbar schlechteste Grund, Vater zu werden.«
    Ich wußte es. Ich drängte weiter – bis es ein Jahr später, ebenfalls im Frühjahr, mit meiner Gesundheit wieder aufwärts ging und die Rückfälle in die Hölle der Erschöpfung immer seltener wurden. Nachdem ich am ersten September ein Manuskript abgeliefert hatte, radelte ich auf dem Rückweg an meinem Haus vorbei, Richtung Amstel. Ich folgtedem Fluß bis Ouderkerk, radelte immer weiter, bis ich mich in unbekanntem Gelände, irgendwo an der Grenze zwischen Wald und Heide, verlor. Auf einmal war mir bewußt: Es geht mir besser. In mir gab es nicht einmal mehr den Hauch der alten Erschöpfung.
    Dennoch dauerte es bis zum Sommer 1987, vier Jahre später, bis ich Mirjam erneut mit dem zu behelligen wagte, was in Kontaktanzeigen »Kinderwunsch« heißt.
    Meine Sehnsucht nach Nachkommen war ebenso stark wie meine Angst davor. Es war die Art von Dilemma, die sich in Romanen und Filmen immer so gut macht. Mein Verlangen nach einem Kind befand sich in lähmender Weise im Gleichgewicht mit meiner Furcht, dieses Kind wieder zu verlieren.
12
     
    Anfang Mai ‘87 fuhr ich, dem Sommer entgegen, in die Provence, um dort eine neue Romanidee auszuarbeiten ( Der Anwalt der Hähne ). Ich hatte noch immer von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, »mein Glück aus der Entfernung zu betrachten«, aber zuvor vereinbarte ich mit Mirjam, sie solle einen Monat später nachkommen.
    Im Zug nach Paris las ich in de Volkskrant eine Anzeige, die für die Sommermonate ein Landhaus bei Aix-en-Provence zur Miete anbot. Gleich nach meiner Ankunft in Paris rief ich an. Die Frau, die ich an die Strippe bekam, war eine Niederländerin namens Anneke, verheiratet mit einem französischen Sänger, der sich auf provenzalische Lieder spezialisiert hatte. Ja, ich könne auch nur einen Teil des Hauses mieten. Ich nahm eine Option auf die Monate Juni und Juli und versprach, sie wegen eines Besichtigungstermins anzurufen, sobald ich im Süden sei.
    Nach ein paar Tagen Paris fuhr ich mit dem TGV nach Arles. Im Jahr zuvor war ich mit Mirjam dort gewesen. Ichhatte damals an einem heißen Tag in der alten Bibliothek im Zentrum, wo es angenehm kühl und ruhig war, Briefe geschrieben. Dort und nirgends sonst würde ich im kommenden Monat aus dem mitgeschleppten Material eine erste Fassung des Buches erstellen.
    Jeden Morgen spazierte ich von meinem Hotel zu Füßen des Amphitheaters zur Bibliothek am Zentralplatz. Ich arbeitete. Ich beobachtete mein Glück aus großer Entfernung. Ich freute mich auf Mirjams Kommen.
    Mitte Mai reiste ich über Marseille nach Aix, wo Anneke mich mit dem Auto vom Bahnhof abholte. Die Blondine im hellblauen Hosenanzug war noch jung. Zehn Jahre zuvor hatte sie als Teenager den zwanzig Jahre älteren Sänger auf dem Festival in Avignon kennengelernt, wo er seine provenzalischen Lieder sang. Inzwischen hatten sie zwei kleine Söhne.
    Ihr Haus, die Villa Tagora, lag in der sogenannten »grünen Zone«, die unter der südlichen Frühlingssonne schon ordentlich ausgeblichen war und einen staubigen und bereits beinahe verdorrten Anblick bot. Der Garten um die Villa Tagora war verwildert, die Dornensträucher tunnelförmig ineinander verwachsen wie Rollen rostigen Stacheldrahts. Aber es roch dort intensiv nach Lavendel – ein violettes Feld, voller weißer Schmetterlinge. Die Grillen verliehen der Stille den richtigen Ton, der zu dieser Hitze gehörte. Im hohen Gras schlichen zwei mausgraue Katzen umher, die Mirjam alles Unkraut vergessen lassen würden. Ich zahlte Anneke die Kaution für das angebaute Apartment, zwei Zimmer und ein Bad, in dem sich auch der Kühlschrank und ein vierflammiger Gaskocher befanden. Juni und Juli würden wir bestimmt hier bleiben, doch sicherheitshalber nahm ich auch für den August eine Option.
    Ende Mai reiste ich Mirjam nach Paris entgegen. Der Gare du Nord. Sie stieg aus dem grauen Zug in einem Sommerkleid, das ich nicht kannte. Sich heftig regende Verliebtheit – da sah man‘s mal wieder, wozu das gut war, dieses Betrachten des eigenen

Weitere Kostenlose Bücher