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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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Glücks aus großer Entfernung. Gleich ins Hotel, danach Mittagessen auf dem heißen Trottoir des Boulevard St. Germain, knapp außerhalb des Schattens des Vordachs.
    Zwei Tage später im TGV nach Arles. Anfang Juni richteten wir uns in der Villa Tagora ein. Glückliche Wochen, die wir zum großen Teil im Schatten des verlotterten Gartens verbrachten. Redend, schweigend. Lesend, schreibend. Wenn es mittags zu heiß wurde, zogen wir uns ins Schlafzimmer zurück für ein träges Geschmuse, das in eine Siesta mündete. Die offenbar wenig farbechten blauen Laken erhielten Batikmuster von all dem beißenden Schweiß, den wir in dieser Hitze produzierten.
13
     
    »Woran denkst du?« fragte Mirjam an einem dieser Mittage, als ich, einen Ellbogen unter dem Kopf, mich in die Senkrechte hochstemmte.
    »Oh, nichts, einfach nur so ein kleines Gedankenspiel. Morgen liegen wir hier wahrscheinlich wieder so. Mit einem angenehmen nachträglichen Kribbeln. Aber stell dir jetzt mal eine Welt vor, in der es dem Menschen nur ein einziges Mal vergönnt ist, das … diesen Paarungsakt, wie es in Naturfilmen immer so schön heißt … zu vollziehen. Eine Wiederholung ist ausgeschlossen. Dieses eine Mal, in dem müßte dann alles enthalten sein. Liebe, Zärtlichkeit. Entladung für ein ganzes Menschenleben … Wegen der Intensität würden schwächere Exemplare es nicht überleben. Dürfte ich mal den Herrn des Hauses sprechen? Nein, leider nicht, er kann nicht ans Telefon kommen. Es ist nämlich so … er ist gestern zum Höhepunkt gekommen, und jetzt muß er mindestens zwei Wochen lang das Bett hüten.«
    »Vergiß die Befruchtung nicht«, sagte Mirjam. »Das mußauch bei diesem einen Mal klappen. Sonst stirbt dein Völkchen in Null Komma nix aus.«
    Ich notierte mir dieses Hirngespinst und vergaß es wieder. Als ich das Blatt Papier später wiederfand, stand unter der Zusammenfassung des Gesprächs: »Eintagswelt: Eintagsmenschen.«
    Wenn es morgens noch nicht so heiß war, gingen wir manchmal die einspurige Straße entlang bis zu einem Vorort von Aix, wo wir den Bus ins Zentrum nahmen, um dort zu Mittag zu essen und einzukaufen. Auf dem Rückweg stellten wir dann in der Abteilung gourmandises unseres bevorzugten Supermarkts das Abendessen zusammen, das Mirjam dann nur noch aufwärmen mußte. So auch am neunundzwanzigsten Juni, doch am Tag darauf war es uns zu heiß, um über flimmernden Asphalt zu laufen. Unsere Vorräte brauchten nicht aufgefüllt zu werden, und von dem Bœuf à la Normande mit Pâtes fraîches vom Abend zuvor (was für ein Leben!) war noch die Hälfte übrig. Wir blieben in der Villa Tagora.
    Wie sieht ein historischer Tag im Leben zweier Liebender aus? Nicht außergewöhnlich sensationell, in diesem Fall. In meinem Tagebuch notiere ich am Dienstag, 30. Juni 1987, daß wir gegen Viertel nach neun im Garten frühstücken. »Schauen Hummeln und Schmetterlingen zu, die sich die kegelförmigen violetten Blüten vornehmen. Die (weißen) Schmetterlinge erinnern mich an weißbekittelte Laborassistentinnen: mit spitzer Pipette von einem Reagenzglas zum nächsten. Ca. 9.30 Uhr setze ich mich zum Arbeiten an meinen Militärinvalidentisch in den Schatten auf die Terrasse. Unterlagenmappe Hans K. Notizen für Der Anwalt …«
    Gegen Mittag machte ich einen Spaziergang in der Umgebung. Während ich mich auf dem freien Feld hinhockte, an einem mit Gestrüpp bewachsenen, flachen Hang, fiel mir unter der mörderischen Sonne die gesamte Handlung desneuen Romans ein. Ich hatte weder Papier noch einen Stift bei mir und mußte dort, einen Sonnenstich riskierend, hockenbleiben, bis der Plot bis zum Ende ausgedacht war.
    Nicht, daß dieser Umstand den Tag zu einem historischen gemacht hätte. Ich sprach ja von zwei Liebenden.
    Ich ging, von der Hitze erschlagen, zum Haus zurück und schrieb schnell alles auf, wobei mich ein Schwarm mouches volantes zwischen meinen Augen und dem Papier behinderte. Danach trank ich, wie in Ekstase oder um mich zu belohnen, fast einen Liter Wein zum Mittagessen, woraufhin Mirjam und ich das Schwitzkämmerchen aufsuchten. Aus einem tiefen Schlaf wachten wir erst um halb sechs auf. Mirjam hatte von Haien geträumt.
    Im Schatten schrieb ich ein paar Briefe – bis Gijs, oder Gregory, vorbeischaute. Gijs war ein Schauspieler und Musiker aus Amsterdam, der in Frankreich, wo er sich Gregory nannte, Karriere gemacht hatte. Wegen seines kupferroten Haars (und seines Akzents) hatte man ihn als Vincent van Gogh für

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