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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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Eßtisch. Obwohl Mirjam sich, soweit es ging, zurücklehnte, machte die Flamme ihre Tränen sichtbar. Auf der Kerze waren aus irgendeinem Grund Erdbeeren abgebildet.
    »Natürlich möchte ich das gern«, sagte sie. »Aber ich habe so eine Angst … so eine Angst, daß ich mich um alles kümmern muß. Vor allem wenn du wieder im Streß bist mit einem neuen Buch oder so. Begreif das doch.«
    Sie weinte jetzt ungehemmt. Zwischen ihren Schluchzern konnte ich Jean Nehr a cappella singen hören, wobei er in Lachen auszubrechen drohte.
    »Das Essen, Minchen, den Abwasch, das überlaß ich dir alles schamlos, wenn es mir in den Kram paßt. Aber ein Kind … da geht es um eine ganz andere Verantwortung. Hört, hört!«
    »Adri, ich will nicht, daß mein Leben damit endet, daß ich ein Kind bekomme. Ich will etwas erreichen in der Welt. Also« (mit komisch flehender Stimme) »du versprichst, daß du mir helfen wirst?«
    Ich versprach es ihr feierlich, während mir der Schreck in die Glieder fuhr. Verantwortung. Mirjam, neben mir, setzte sich aufrecht und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Sie schniefte noch ein bißchen, als sie sagte: »Es ginge schon Ende Juli.«
    »Wollen wir es nicht noch einen Monat hinausschieben, bis Ende August?« Ich schließe nicht aus, daß ich kurz davor war, einen Rückzieher zu machen. »Ich möchte erst innerlich ein bißchen sauber werden. In letzter Zeit hab ich mich ganz schön vergiftet.«
    »Dann hör ich auf zu rauchen«, sagte Mirjam. »Ende Juli, nein, dann wird es ein Aprilkind. Find ich nicht gut. Mai oder Juni ist besser.«
    Wir saßen eine ganze Weile schweigend Hand in Hand da, jeder mit eigenen Gedanken, und lauschten den getragenen Seufzern von Gregorys Quetschkommode und Jeans nasaler Stimme. Mein Leben breitete sich auf einmal in eineranderen Ordnung vor mir aus, einer weit strengeren, als ich bislang gewohnt war. Nicht unangenehm, obgleich bereits so etwas wie Wehmut um das Vergangene in mir zu summen begann. Während Mirjams Schwangerschaft würde ich alle noch nicht abgeschlossenen Projekte zu Ende führen, das als erstes. Ich würde alle Asche und Schlacke aus meinem Blut vertreiben und meine Jugend in alter Pracht wiedererstehen lassen, trotz der nahenden Vaterschaft.
15
     
    »Es ist also abgemacht?« fragte ich plötzlich.
    »Abgemacht«, sagte Mirjam lachend.
    Die sich reckende Kerzenflamme, der höher steigende Mond und dazwischen das verwilderte Grundstück der Villa Tagora – alles nahm den Duft, die Farbe, den Glanz unseres Beschlusses an.
    »Darauf trinken wir noch ein Glas Wein«, sagte ich. »Jetzt, wo‘s noch geht.«
    Ich ging ins Haus, um einen neuen Karton Var zu holen, und schnitt die Öffnung auf. Auf den beiden Klingen der Schere wölbten sich rote Tropfen. »Und jetzt keine geistreichen Bemerkungen über das Durchschneiden der Nabelschnur und so, denn von jetzt an ist alles symbolisch.«
    Mirjam wollte keinen Wein mehr. Ich leerte ein Duralexglas nach dem anderen. Auch nachdem die Musik aufgehört hatte, blieben wir noch lange so sitzen, wobei wir uns immer nur so flüchtig küßten, daß das Gespräch dadurch nicht nennenswert unterbrochen wurde.
    »Also …« hob ich wieder einmal an.
    »Ja, abgemacht.«
    »Wirklich?«
    »Abgemacht. Wirklich.«
    »Ich hab mir gerade überlegt …« sagte ich. »Von der Geburt an führe ich ein Tagebuch über sein oder ihr Leben.Jeden Tag. Alles. Das bekommt er oder sie dann zum achtzehnten Geburtstag.«
    »Dann fängst du aber besser schon mit der Schwangerschaft an«, sagte Mirjam. »Als Prolog.«
    »Nein, mit dem heutigen Tag. Dem Beschluß. Und allem zwischen jetzt und der Schwangerschaft. Morgen fang ich an.«
    Vom Rest unseres Gesprächs ist mir nur noch erinnerlich, daß die meisten Sätze mit »Ich würde …« oder »Wir würden …« begannen. Und daß es um Hausgeburt oder Krankenhausgeburt ging.
    »Zu Hause, zu Hause«, sagte Mirjam sehr bestimmt. »Ich will keine Geburt im Krankenhaus.«
    »Weißt du, Minchen, nicht, um dir nachträglich Vorwürfe zu machen, aber … wenn es um ein Kind ging, warst du bisher unerbittlich. Ich habe oft gedacht, du hast insgeheim Angst vor den Schmerzen.«
    »O nein, absolut nicht. Schmerzen? Da kennst du mich schlecht.«
16
     
    Ich hatte Mirjam immer mit so viel Überzeugungskraft zugeredet, daß ich meine eigenen Zweifel und Ängste in puncto Vaterschaft aus dem Auge verlor. Sie regten sich erst jetzt wieder, als sie sich, mitsamt all ihren Bedingungen, geschlagen

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