Tonio
gab. Ich hatte meine eigene Gefahrenzone geschaffen und mich zusammen mit Mirjam über die Grenze gezogen.
Zwei Wochen nach dem Kinderbeschluß fuhren wir mit dem TGV nach Amsterdam zurück, so sehr drängte es uns, in der Abgeschiedenheit unseres Hauses den Körper zu reinigen und für die Fortpflanzung einsatzbereit zu machen. Mirjam wollte mit dem Rauchen aufhören, und ich würde vorläufig, auf jeden Fall bis die Zeugung geglückt war, den Alkohol aufgeben. Mirjam war eine so mäßigeTrinkerin, daß sie dieses eine Glas mühelos stehenlassen konnte.
Während wir uns so mit jedem Tag strahlender und gesünder fühlten, nahte der Geburtstag meiner Schwiegermutter. Wies hatte so oft auf ein Enkelkind gedrängt, es fast schon gefordert, daß sie sich (glaubten wir) über die Mitteilung sehr freuen würde, wir seien dabei, unseren Körperhaushalt ins Lot zu bringen, zur Vorbereitung auf einen perfekten Verkehr und eine reine Befruchtung.
Falsch geglaubt. Ich rief sie an.
»Also, Wies, wir kommen wie immer zu deinem Geburtstag, mach dir keine Sorgen. Der einzige Unterschied zu sonst ist, daß wir keinen Alkohol trinken wegen …«
»Na, dann braucht ihr gar nicht zu kommen. Nicht mal ‘nen Schluck, das finde ich ungesellig. Entweder feiere ich meinen Geburtstag, oder ich feiere ihn nicht.«
Kein Wort der Freude über die geplante Familienerweiterung. Es lag übrigens nicht an ihr, weshalb ich in den folgenden Wochen der Enthaltsamkeit (vom Alkohol, nicht vom Verkehr: Mirjam würde mit der Pille erst aufhören, wenn unsere degenerierten Körper generalüberholt waren) wieder Zweifel entwickelte, ob ich der Verantwortung für ein Kind gewachsen sei. Um Wies nicht zu enttäuschen, tranken wir an ihrem Geburtstag von dem 45%igen polnischen Wodka, den seine alten Freunde aus Krakau Natan noch immer schickten. Auch zu Hause sündigten wir dann und wann gegen die selbstauferlegten Verbote. Ich fand noch immer leere Verpackungen im Treteimer. Meine Angst ließ nach. Vielleicht würde es mit der Elternschaft ja gar nicht soweit kommen. Ich würde jedesmal, wenn wir über die Stränge schlugen, einen Fingerbreit zusätzlich in mein Glas schmuggeln. Mirjam würde das gleiche mit der nächsten halben Zigarette tun und es für unverantwortlich halten, jetzt schon mit der Pille aufzuhören.
17
Kurz vor unserer Abreise aus Aix hatten wir die Nachricht erhalten, daß Mirjams steinalte Katze Baaffie in Amsterdam gestorben war. Bei unserer Rückkehr in die Niederlande schauten wir erst bei meinen Eltern in Eindhoven vorbei. Wir waren noch keine Stunde bei ihnen, da fragte ich meinen Vater nach den Tierheimen in der Umgebung. Ja, er kenne eines, gar nicht so weit weg. Ohne nachzufragen, fuhr er uns hin. Mirjam sah mich ein paarmal mit hochgezogenen Augenbrauen an, aber auch sie fragte nicht weiter.
Im Tierheim führte eine Mitarbeiterin uns vorbei an wildwütig bellenden Hunden, die mit ihren Krallen Harfe auf den Gittern spielten, zur Katzenabteilung.
»Dieser Wurf ist vom Juni … noch nicht einmal einen Monat alt.«
Mirjam verliebte sich sofort in ein Tigerkätzchen mit zu kurzen Vorderbeinen, das sich ständig von seinen Geschwistern umrennen ließ. Sie hatte das Tier kaum hochgehoben, da hatte es sich bereits mit seinen Krallen in ihren Haaren verfangen. »Es kann sich nicht mehr losmachen. Jetzt muß ich es wohl mitnehmen.«
»Sie ist nicht einfach als Baaffies Nachfolgerin gedacht«, erklärte ich ihr. »Sie bekommt auch die Aufgabe einer Gedächtnisstütze. Ich möchte, daß sie uns durch ihre Anwesenheit permanent an das Versprechen erinnert, das wir uns in Aix gegeben haben …«
»Und wenn das Versprechen eingelöst ist«, sagte Mirjam und küßte das Kätzchen mitten auf das rosa Näschen, »muß das arme Ding dann wieder ins Tierheim?«
Die Adoption war vollzogen. Eine definitive Namensgebung aufschiebend, tauften wir die Katze vorläufig Genial-aber-mit-zu-kurzen-Beinen. Zu Hause in der Obrechtstraat brachten wir sie erst mal im Badezimmer unter, aber das erwies sich als keine gute Idee. Die mißgebildeten Beine hattensie nicht daran gehindert, sich am Wäschekorb hochzuhangeln und vom Deckel auf den Wannenrand zu springen. Dort war sie abgerutscht – hui, über das spiegelglatte Porzellan bis ganz nach unten in den Abfluß. So fanden wir sie am nächsten Morgen: übersät mit Prellungen und angeschwollen von inneren Wundsekreten und Blutergüssen.
Sie überlebte nur knapp. Als die Krise vorbei war und
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