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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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erpicht.
    »Könntest du mir deine Nummer geben?« fragt Wies zum Schluß, und nicht zum ersten Mal. »Nur für Notfälle. Ich werde sie nicht mißbrauchen.«
    Ich verspreche ihr, auch zum soundsovielten Mal, eine Karte mit der Nummer zu schicken, in der Hoffnung, siehabe mein Versprechen und am besten auch die eigene Bitte beim nächsten Telefonat vergessen. In der Vergangenheit mußten wir schon mehrmals eine neue Nummer nehmen, wenn meine Schwiegermutter die Telefonitis hatte.
    Gut, nur für Notfälle, ich glaube ihr, in Gottes Namen, es wäre herzlos, den Notausgang für sie verschlossen zu halten. Nach dem Gespräch schreibe ich meine Handynummer auf eine Karte, adressiert ans Sint Vitus.
    Zwei Tage später geht es los. Zuerst erkenne ich ihre Nummer nicht auf meinem Display, also nehme ich das Gespräch nicht an, doch in der Mailbox ist unmißverständlich eine Nachricht meiner Schwiegermutter. Es ist die nahezu wörtliche Wiederholung aller Äußerungen während unserer früheren Telefongespräche. Mehrere auf die Mailbox gesprochene Stoßseufzer, Ratschläge und Ermahnungen folgen, alles mehr als hinlänglich bekannt. Ich rufe nicht zurück, und darum hat sie auch nicht gebeten.
    Eines Montagmorgens, als ich mich gerade an die Arbeit gemacht habe, klingelt mein Handy. In der Mailbox die Stimme von Wies, herrisch wie in ihren besten Tagen: »Kannst du mich schnell mal zurückrufen …« Ohne Fragezeichen. Als Auftrag. Es klingt nicht nach einem Notfall, eher nach selbstverständlichem Mißbrauch.
    Auch Mirjams Mailbox füllt sich jetzt mit Nachrichten ihrer Mutter. Wies verfolgt ihre andere Tochter gleichfalls mit Anrufen, auf dem Handy sowie der Festnetznummer bei ihrer Arbeit. Ein paar Tage später haben wir alle drei eine andere Nummer. Ruhe.
30
     
    An diesem Abend bin ich bei der Schmerzbekämpfung etwas zu rigoros vorgegangen. Um halb drei Uhr nachts wache ich auf der Wohnzimmercouch auf, sitzend, ein Whiskyglas voll Wodka umklammernd, in dem das Eis längstgeschmolzen ist. Mirjam ist schon vor Stunden nach oben gegangen.
    Ich schleppe mich die Treppe hinauf. Die Tür zu Tonios ehemaligem Zimmer steht ein Stück weit auf. Licht fällt heraus, eindeutig nicht von einer Glühbirne, dafür ist es zu weiß und zu kalt. Tonio hat 2008 seine (ursprünglich für Gäste bestimmte) Bettcouch darin gelassen, die seitdem von Mirjam benutzt wird, um meinem Schnarchen oder dem Zischen meines CPAP -Geräts zu entrinnen.
    Ich stehe mit angehaltenem Atem auf dem Flur und lausche. Die Katzen kommen neugierig heraus. Sie bleiben vor der halb geöffneten Tür sitzen. Der Schein hinter ihnen gleicht frühem Tageslicht, das durch offene Vorhänge ins Zimmer flutet. Das kann es jedoch nicht sein, es ist erst kurz nach halb drei.
    Ich drücke die Tür etwas weiter auf und schaue um die Ecke: Tonios demontiertes Zimmer, das Mirjam in Kürze als ihr Arbeitszimmer beziehen will, soweit wie möglich mit Tonios Sachen eingerichtet, die noch aus De Baarsjes hierher transportiert werden müssen. Auf einem Schreibtisch hat sie bereits ihren neuen Computer installiert. Der große Bildschirm taucht das ganze Zimmer in ein kaltes, alles entseelendes Licht. Im Bett liegt Mirjam, die Decke bis zum Nabel hochgezogen. Sie liegt da, wie sie es selten tut: auf dem Rücken, das üppige dunkle Haar auf dem Kopfkissen ausgebreitet.
    Mein Blick kehrt zum Computerbildschirm zurück, auf dem ein blauer Block zu sehen ist, mit einem Text in weißen Buchstaben. Aus dieser Entfernung kann ich ihn nicht lesen. Rund um den blauen Block ist eine perlgraue Fläche, die dieses unheimliche Licht aussendet. Wörter drängen einander in meinem Kopf beiseite, bis dieses eine gespenstische hängenbleibt: abschiedsbrief .
    Die Katzen haben sich wieder lautlos ins Zimmer geschlichen und stehen jetzt mit erhobenen Schwänzen in symmetrischer Aufstellung vor dem Bett, von wo sie mich gespannt anschauen. Ich gehe die paar Schritte auf den Flur zurück, wo ich eine Weile bebend auf die halb geöffnete Tür starre – bis das Licht im Zimmer von selbst erlischt. Ich suche mein eigenes Bett auf und tue für den Rest der Nacht kein Auge zu.
     
    Wie jeden Morgen bringt Mirjam mir gegen halb neun das Frühstück. Ich erzähle ihr, daß ich um Viertel vor drei bei ihr Licht brennen sah.
    »Oh? Nichts davon gemerkt. Ja, das machen die Katzen. Die spazieren nachts in aller Gemütsruhe über die Tastatur und aktivieren dann manchmal die Bildschirmbeleuchtung. Ich merke beim

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