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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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Zebrastreifen an der Ecke des Parkhotels sind auf träges Blinzeln geschaltet. Ach, Jenny, wie sie sich auf deine Bitte hin um neunzig Grad drehte, um mehr von den aufgestellten Aufhellschirmen zu profitieren … und du, über das Stativ gebeugt, den reflektierenden Regenschirm über dem Kopf, eher schon ein Sonnenschirm … Vielleicht hast du noch die Geistesgegenwart, zwischen den gelben Blinksignalen einen abtastenden Blick nach rechts zu werfen. Ein Taxi fährt gerade über den Zebrastreifen. Ansonsten liegt die Stadhouderskade auf dieser Seite verlassen da.
    Und links? Wenn du nicht zuerst nach links geschaut hast, kommt aus dieser Richtung denn auch gar kein Geräusch ? Oder ist dein Gehör noch zu sehr betäubt durch die Beats von Technobeast Carl Craig?
    Vielleicht ist dir ein wenig schwindlig von den Dips, als du mit Dennis getanzt hast.
12
     
    Wir versorgten Tonio reichlich mit Spielzeug. Er hatte eine charmante Art, uns alles, was sein Herz begehrte, abzuschwatzen. Oma Wies hatte einmal gesagt: »Du setzt am Ende immer deinen Willen durch.« Sie hatte bei diesen Worten eine gespielt ergebene Miene aufgesetzt. Von dem Moment an schien Tonio es als seine Aufgabe zu betrachten, mit Hilfe einer verfeinerten Charmeoffensive seinen Willen – nein, nicht durchzusetzen, sondern einfach zu bekommen . Der richtige feuchte Augenaufschlag reichte oft schon aus.
    Das Kostspielige daran war, daß ein Spielzeug ihn sehr schnell langweilte, sobald er erst einmal dessen Geheimnisenträtselt hatte. Er konnte eine Schachtel mit Lego Technic, dessen Zielgruppe weit über seiner Altersklasse lag, in großer Geschwindigkeit zusammensetzen, doch damit war die geheime Formel schon gleich erschöpfend geknackt. Im günstigsten Fall ließ sich so ein Teil um Zubehör und Anbauten erweitern, das drückte die Kosten. Meist jedoch fiel sein Blick auf eine völlig neue Herausforderung mit blinkenden Lämpchen, rotierenden Raupenketten und einem Transformator.
    Aus K‘NEX -Teilen fabrizierte er ein elektrisch angetriebenes Riesenrad, größer als er selbst, so daß er auf einen Küchentritt klettern mußte. Als ich ihn darauf hinwies, sagte er: »Das Riesenrad am Dam ist noch höher.«
    Rollerskates. Der äußerst wendige silberfarbene Tretroller. Der funkgesteuerte Jeep mit den Rädern eines Traktors. Die Warhammer-Armeen inklusive einem halben Maleratelier, um die kleinen Soldaten und ihr Kriegsgerät anzumalen.
    Computer, Laptops waren das Spielzeug des heranwachsenden Teenagers. Die dazugehörigen Spiele. Die Programme.
    Nach seinem achtzehnten Lebensjahr erweiterte er sein Spielgelände um die Lokale, in denen man gesehen werden mußte. Club Trouw, in dem er seine letzte Nacht verbracht hatte, stellte der nicht, mit all seiner Technomusik, sein letztes Spielzeug dar? Die logische Folge einer ganzen Reihe von Spielzeugen? Dazu gehörte ein Fahrrad, um in höheren Sphären nach Hause zu fahren. Von Lego Technic über einen Kopf voll Technogedröhn auf dem Weg zum Medientechnologiestudium – dabei war er, an irgendeinem entscheidenden Punkt, erfaßt und zu Boden geworfen worden. Dann trafen Rettungswagen ein, und er wurde der Medizintechnologie unterworfen, mit der man ihn wieder zusammensetzen zu können hoffte.
13
     
    Sogar Mord dient noch einem Ziel, wie pervers auch immer. Schließlich beabsichtigt der Mörder, seinem Opfer den Garaus zu machen. Selbst der Tod eines Soldaten auf dem Schlachtfeld scheint einen Sinn zu haben: Er tut es für sein Vaterland, ist Kanonenfutter im Dienste des endgültigen Siegs über das Böse.
    Und die Opfer eines terroristischen Anschlags? Zumindest aus Sicht des Auftraggebers hat ihr Tod einen Sinn. Die Aktion gilt als um so erfolgreicher, je mehr Tote und Verletzte es gibt. Nicht nur die Selbstmordterroristen, auch ihre Opfer fallen für das eigene Vaterland, wenn wir den von hoher Hand organisierten Gedenkfeiern und in Auftrag gegebenen Ehrenmalen glauben dürfen.
    In Tonios Tod kann ich keinerlei Ziel, keinerlei Sinn entdecken. Er war auf dem Weg nach Hause, wollte unterwegs etwas essen und stieß dabei auf eine ungewollte und unbeabsichtigte Kraft, die ihn tötete. Der Fahrer des tödlichen Geschosses wußte bis zu diesem Augenblick nicht, daß er ein tödliches Geschoß steuerte. Er kam von der Arbeit und fuhr mit einem Bekannten nach Hause. Stille Nacht, heilige Nacht.
    Tonios Tod war die Folge des Aufeinandertreffens zweier Kräfte. Die Zerstörung, die sie dabei würden anrichten

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