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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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ihrer Familie von dreiundzwanzig Paar muskulösen Männerbeinen gestützt wird.«
    Die Spieler und ihre Trainer standen blaß und bedeppert da. Kein einziger lachte. Vielleicht hatten sie alle einen Kater. Die Niederlage war vergangene Nacht bis zum frühen Morgen in Huis ter Duin in Noordwijk gefeiert worden, wo die andere nationale Losermannschaft, De Toppers, ihnen zugesungen hatte.
    Nach und nach erschien hier und da doch ein verstohlenes Grinsen, und so standen sie sich dann gegenüber: die Königin mit ihrem beschämten Fußballkabinett auf der einen Seite des Gitters, die triumphierend brüllende Viehherde auf der anderen.
    Dann folgten alle der Königin wieder hinein. Später bekamen wir aus der Vogelperspektive zu sehen, wie die Spieler und ihre Begleiter auf der Waalsdorpervlakte in zwei Helis stiegen – für den halbstündigen Flug nach Amsterdam. Unser Gastgeber schaltete den Apparat aus und schlug vor, zum Bootssteg zu gehen.
26
     
    Auf dem IJ reihten wir uns in eine bunt zusammengewürfelte Flotte aus kleinen und großen Begleitfahrzeugen ein, Motorbooten und Speedbooten bis hin zu hochseetauglichen Yachten, die von der Flußpolizei in gehörigem Abstand zu den bereitliegenden Spieler- und Bonzenbooten gehalten wurden. Das Fernglas unseres Kapitäns mußte zu Hilfe genommen werden, um am Steg der Marinebasis das Museumsboot auszumachen, reich geschmückt mit orangeroten Blumenarrangements und bewacht von Polizisten auf einer Art Superwasserfahrräder mit Hilfsmotor.
    Immer wieder wurde der Himmel nach den Hubschraubern mit der Nationalmannschaft abgesucht, doch seit ihrem Abflug von der Waalsdorpervlakte war bestimmt eine Stunde vergangen, das heißt, die Jungs mußten längst auf der Marinebasis sein.
    Abends würden Mirjam und ich alles auf dem Bildschirm noch einmal sehen. Die Spieler hatten sich umgezogen, die Blazer gegen Trainingskluft vertauscht – Blau mit orangefarbener Paspelierung, damit sie nicht mit ihren einfarbig ausstaffierten Fans verwechselt werden konnten. In lockerer, fast unordentlicher Formation marschierten sie über den Steg, um, sich gegenseitig schubsend wie auf einem Klassenausflug, an Bord des Museumsboots zu gehen.
    »Na so was, der auch noch«, sagte unser Gastgeber und reichte mir das Fernglas. »Der frischgebackene Bürgermeister himself .«
    Ich erkannte mit einiger Mühe den frisch angetretenen van der Laan, der, mit seiner Amtskette behängt, alle mit leicht sorgenumwölkter Miene begrüßte. Später, in der Wiederholung, sollten wir die Details erkennen. Alle diese durchtrainierten Fußballmaschinen stürzten sich sofort gierig auf das Bier, mit dem der Sponsor Heineken sie in grünen Schlürfflaschen, normalen Gläsern und Pokalen von derGröße des Weltcups versorgte. So wappneten sie sich gegen den schmählichen Triumphzug.
    Als die beiden Boote, umdrängt von den Wasserscootern der Flußpolizei, in geraumer Entfernung die Fanflotte passierten, gab es kein Halten mehr. Es war wie bei der Sail, wenn alles, was schwimmen und treiben konnte, auf dem IJ ein einlaufendes russisches Ausbildungsschiff begrüßte. Unser Boot gelangte jetzt trotz der Polizei ziemlich nahe an das Spielerboot. Die gesamte chaotische Armada nahm Kurs auf De Eilanden.
    An der Reling erschien der Torwart und setzte ein überdimensionales Worldcupglas voll Bier an die Lippen. Dirk, Robin, Wesley … was für kleine Jungs waren das, wenn man sie so an Deck rangeln sah. Sie wurden bereits etwas übermütiger. Der Bürgermeister stand ein wenig verloren daneben, Wasserspritzer auf dem Anzug. Kein Fußballer wollte offenbar mit ihm reden.
    Ich kauerte vorn im Boot. Ich sah mich um nach Mirjam, die neben unserer Freundin auf einer Bank saß und sich an der Reling festhielt. Ihr Gesicht war naß, aber das konnte genausogut von dem Wasser herrühren, das ein Fahrzeug in unserer Nähe aufspritzen ließ. Andererseits … auf dieser offenen Lichtfläche voll schaukelnder Boote, die alle in dieselbe Richtung, auf eine lange Brücke zueilten, war es unmöglich, nicht an Tonio zu denken. Sie wußte wie ich: Wir begaben uns mit dem größtmöglichen Umweg zu dem Ort, den wir seit Pfingsten nicht aufzusuchen gewagt hatten. Am Tag selbst hatten wir an seinem Sterbebett gestanden und ihn für ewig zum Abschied geküßt, doch eine Konfrontation mit der Kreuzung, an der er an jenem Morgen in aller Frühe endgültig das Bewußtsein verlor, hatten wir uns all die Wochen nicht zugetraut. Es blieb abzuwarten, ob es

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