Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
Vom Netzwerk:
Mädchen angeben, nicht nur bei meinen Freunden, auch bei meinen Eltern – notfalls mit Worten, begleitet, falls möglich, von einem Foto.
9
     
    Nachdem Tonio gegangen war, rief Mirjam mich in die Küche. Sie stand vor dem offenen Kühlschrank. »Sieh dir das an.«
    Die Fächer, die Gemüseschublade, der Stauraum in der Tür – der gesamte verfügbare Platz war mit Eisteekartons und Obstsäften aller möglichen Geschmacksrichtungen vollgepackt. Im Gefrierfach lag ein Liter Lipton Ice für den Fall, daß die Dame ihr Getränk extrakalt wünschte. Keiner von uns beiden hatte mitbekommen, wie Tonio diese Einkäufe hergebracht hatte. Hier standen Eistee und Säfte in Gläsern und Dosen im Wert seines halben Wochengelds.
    »Tonio sorgt gut für seine Models«, sagte ich.
    »Jedenfalls hat er das nicht aus Sorge um etwaigen Vitaminmangel seiner Eltern angeschleppt«, sagte Mirjam. »Ich nehm das alles im Auto in die Nepveustraat mit, wenn ich ihm nächste Woche seine saubere Wäsche bringe.«
    Im Wohnzimmer fand ich in der Ecke, in der die Vitrine mit Tonios Steinsammlung stand, zwei weitere Styroporaufhellschirme. Dort roch es stark nach Nikotin. Auf dem Fußboden stand eine Schale mit ausgedrückten Filterzigarettenstummeln, die ich in den Treteimer kippte. Das Mädchen, einstweilen noch namenlos, rauchte also.
    Diese körnigweißen Reflexionsschirme fand ich noch an weiteren Stellen im Haus. Sie sahen mich wie monochrome Gemälde stumm an und erzählten mir von der Fotosession nicht mehr, als daß sie Sonnen- oder Kunstlicht auf das Model zurückgeworfen hatten.
    »Was machen wir mit dem ganzen Styroporzeugs?« fragte Mirjam.
    »Stehenlassen«, sagte ich. »Das räumt er am Sonntag alles weg.«
10
     
    Vor dem Essen ging ich kurz in die dritte Etage – nicht um zu arbeiten, sondern um die Markise über dem Balkon auf der Gartenseite einzufahren. Als es neulich in der Nacht geregnet hatte, hatte ich einen Stock tiefer stundenlang wach gelegen von dem Ticken und Trommeln auf dem ausgefahrenen Tuch.
    Der elektrische Bedienungsschalter, links von der Flügeltür, schien nicht zu funktionieren – bis ich entdeckte, daß die Verschattung bereits oben war, ordentlich aufgerollt in ihrem Aluminiumrahmen.
    Moment mal. Ich wußte genau, daß ich sie, bevor wir in den Amsterdamse Bos aufgebrochen waren, nicht hochgefahren hatte, bewußt nicht, um so das Parkett zu schützen, denn die Sonne fiel um diese Zeit üppigst herein. Natürlich, ich hätte die Markise hochmachen und die Vorhänge zuziehen können, aber damit alles mal richtig durchlüftete, wollte ich die Balkontür offen lassen, zumal ich aus Erfahrung wußte, daß Windstöße die zugezogenen Vorhänge manchmal weit in die Höhe warfen, wonach sie beim Zurückfallen alle möglichen Gegenstände vom nächstgelegenen Schreibtisch fegten. Beim letzten Mal, als so etwas passierte, hatte ich mir Mirjams Zorn zugezogen, weil ich ihren Katzen die Schuld an der Verwüstung gegeben hatte.
    An alle diese Überlegungen erinnerte ich mich ganz genau – auch jetzt noch, drei Tage später, im Polizeibus. Von Zerstreutheit konnte keine Rede sein. Ich hatte die Vorhänge offen gelassen, die Markise ausgefahren und die Türen mit Haken an der Balkonwand festgemacht. Jetzt, bei der Rückkehr, fand ich die Vorhänge nach wie vor offen, aber die Tür war fest geschlossen und die Markise oben.
    Tonio? Wir hatten abgemacht, daß er das ganze Haus benutzen konnte, nur meine Arbeitsetage nicht, denn ich war mitten im Sortieren meines Materials, und überall lagen Stapel mit beschriebenen, noch nicht numerierten Blättern. Ich sah mich genau um. Nichts wies darauf hin, daß hier Fotos gemacht worden waren. Nirgends ein Styroporschirm. Im Papierkorb keine Verpackungen von Filmen. Keine Spur jener unerwünschten Neueinrichtung, die Fotografen von Tages- und Wochenzeitungen dem Interieur hier so gern aufzwangen.
    Hoffte ich auf Zeichen eines amourösen Zusammenseins? Zwischen den beiden Sitzkissen der Chaiselongue, auf der ich manchmal lag und las, ragte noch immer, festgeklemmt, das Buch über die niederländischen Polizeibezirke heraus, das mir als Material für meinen Roman gedient hatte.
    Ich öffnete die Balkontür. Die Latten und Seitenbretter, die Teile von Tonios Kinderstockbett gewesen waren, lagen noch genauso da, wie unser Faktotum René sie hingelegt hatte, nur etwas grauer und grün überzogen infolge von Schnee und Regen. Rechts führte die Aluminiumfeuerleiter zum Dach

Weitere Kostenlose Bücher