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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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braucht sie eine Mappe mit Fotos, um damit Castingbüros und so abzuklappern. Jetzt hab ich mir überlegt … dieses Haus, euer Haus, das wäre natürlich sehr geeignet für so ein Shooting. Es geht um morgen nachmittag. Mirjam findet es okay, ein paar Stunden wegzugehen, aber sie wußte nicht, ob du …«
    »Na, das ist ja gelungen. Du tauchst hier kurz auf, um mich zur Ordnung zu rufen … ob ich meine zehn Seiten pro Tag schaffe. Und dann vertreibst du mich aus meinem Arbeitszimmer, weil du ein hübsches Mädchen fotografieren willst. Ohne Zuschauer.«
    Als ich jetzt an den leicht unangenehm berührten Blick zurückdachte, den er mir zuwarf, sah ich klare braune Augen, die mehr Vitalität ausstrahlten, als ein Mensch für ein langes Leben braucht.
    »Prima«, sagte er und stand auf. »Ich wußte, ihr würdet es erlauben.«
5
     
    Es war ruhig auf der Autobahn, auch in der Gegenrichtung. Wer das lange Pfingstwochenende anderswo verbringen wollte, hatte die Stadt bereits am Freitag oder Samstag verlassen. Und die Leute, die für einen Tag nach Amsterdam kamen, würden erst am Nachmittag im Stau stecken.
    Wir kannten den Weg noch besser als die Polizisten vorn im Bus. Vom Herbst 2005 an hatte Mirjam mich jeden Monat ins AMC chauffiert, wo ich medizinisch untersucht wurde in meiner Eigenschaft als Versuchskaninchen für eine neue Wunderpille, die einen gestörten Stoffwechsel regulieren sollte. So ging das gut zwei Jahre lang. In den vergangenen Monaten hatte Mirjam auf derselben Strecke Tonio ein paarmal ins AMC gefahren, das über die richtigen Säle für die schriftlichen Prüfungen verfügte, denen sich die Studierenden der Fachrichtung Medien & Kultur unterziehen mußten.
    Der Pfingstmorgen war auf quälende Weise strahlend. Weil sich der Dunst, der das Sonnenlicht siebte, noch nicht ganz aufgelöst hatte, schien es, als läge Goldstaub in der Luft. Wir fuhren mit hoher Geschwindigkeit mitten durch diesen schimmernden Nebel und waren zugleich radikal von ihm getrennt. Kritischer Zustand . So entfernte sich der Polizeibus immer weiter von dem Tag, den ich mir erhofft hatte. Vor einer halben Stunde lag ich noch im Bett, siebzehn Treppenstufen von meinem Manuskript entfernt. Da konnte ich noch wählen: entweder zuerst duschen oder einer gesegneten Ungeduld nachgeben und den Schlafgeruch mit nach oben nehmen.
    Die Klingel hatte die Wahl hinfällig gemacht. Heute an meinem Roman über den Mord an einer Polizeibeamtin arbeiten? Vor der Tür stand eine, und keine fiktive. Genau der gleiche Bus wie im Buch parkte an der Ecke der Nebenstraße, allerdings ohne das Verhaftungsteam, das jeden Moment in Aktion treten konnte. Er war leer und real, und er sollte uns ins AMC bringen, wo Tonio in kritischem Zustand … Na schön, daß die Wirklichkeit die Fiktion verfolgt, einzuholen versucht und manchmal sogar überholt oder, noch schlimmer, hinfällig macht, damit muß jeder Schriftsteller rechnen.Kein Lamentieren, es ist eines der Risiken, die er eingeht, wenn er einen Roman konzipiert. Tolle Sache natürlich, die völlige Souveränität einer erfundenen Realität, ihr in sich geschlossener Kreis … aber versuch mal, darauf eine Vollkaskoversicherung abzuschließen.
    Ich beklagte mich nie. Nur heute drang die Wirklichkeit mit einer derart obszönen und zerstörerischen Direktheit in meine fragil konstruierte Welt, daß ich nur noch den Kopf beugen konnte – oder hängen lassen.
6
     
    Auch am vergangenen Donnerstag war es, bei neunzehn Grad und wolkenlosem Himmel, wieder richtig frühlingshaft, fast schon sommerlich. Als ich gegen eins hinunterging, um mit Mirjam in den Amsterdamse Bos zu fahren, begegnete ich Tonio in der Diele. Er kam mit einem zusammengeschobenen Stativ aus dem Souterrain, in dem er bei seinem Umzug in den Stadtteil De Baarsjes noch mehr von seinen Sachen abgestellt hatte. Ein paar weiße Aufhellschirme aus gerahmtem Styropor lehnten an der Flurwand.
    »Schau dir das an«, sagte er und strich über eine der Platten, die ein unregelmäßiges Muster aus kleinen Löchern aufwies. »Total angefressen von den Käfern.«
    »Wie bitte, Käfer, die Styropor mögen?«
    »Styroporkäfer, ja. Bei Dixons im Lager war es eine richtige Plage. Computer, die aus ihrer eigenen Verpackung brachen …«
    »Wenn das heute mittag nur gutgeht«, sagte ich. »Perforierte Aufhellschirme, davon bekommt ein Model ein mottenzerfressenes Gesicht.«
    »Sehr witzig, Adri. Hast bestimmt gut gearbeitet heute morgen.«
    »Übrigens –

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