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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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welche Form ihre Rache angenommen hatte. Beim Probelauf des neuen Geräts löste es sich rüttelnd und stampfend von der Wand. Ich stand barfuß auf dem gefliesten Badezimmerboden und hatte keine andere Wahl, als rückwärts wegzuhüpfen, sonst hätte die zweifellos scharfe Unterkante der Maschine meine Zehen amputiert. Während meines Trampeltanzes aus Selbsterhaltungstrieb mußte ich auch noch den richtigen Knopf finden, um das selbständig operierende Monster zu stoppen.
    Mirjam zufolge hatte das Lieferantenteam die Sicherheitsbolzen absichtlich in der Maschine gelassen. »Du gibst immer viel zu viel Trinkgeld … davon kommt das. Dann fangen sie an, mit dir zu spielen.«
    Es ging auf halb sechs zu. Meine Hand war schon fast Mus von ihrem Drücken. Auf ihrer schönen, glatten Stirn, die ich selten transpirieren sah, lagen dicke Schweißtropfen. »Das können keine Bauchschmerzen sein«, sagte ich.
    »Sicherheitshalber doch mal die Hebamme anrufen«, sagte Mirjam, obwohl der Stichtag erst in dreieinhalb Wochen war. Sie keuchte leicht. Die Hebamme ließ Mirjam am Telefon beschreiben, was genau sie spürte. Das Gespräch dauerte nicht lange. »Sie kommt auf dem schnellsten Wege her. Vielleicht muß ich schon ins VU .«
    »Minchen, dein Koffer … In dem Faltblatt stand, daß du einen Koffer mit allem Nötigen bereit haben mußt. Du hast keinen Koffer.«
    »Typisch«, stöhnte sie, »in so einem Augenblick wegen eines Koffers rumzunerven. Ich hab jetzt wirklich andere Sorgen.«
    Die Schmerzanfälle verschlimmerten sich. Kurz nachsechs traf, das Gesicht schlafdurchfurcht, die Hebamme ein. Sie zog sich einen Gummihandschuh über die rechte Hand und bat mich, vor dem Schlafzimmer zu warten. Ich hätte jetzt einen Koffer mit den nötigen Toilettensachen packen können, aber ich blieb tatenlos auf dem Flur stehen.
    »Na, Mädel«, verstand ich, »der Muttermund hat sich ja schon erweitert.«
    Es waren ganz eindeutig Wehen, und sie wurden heftiger. Ich half Mirjam in den Morgenmantel. »Es tut viel mehr weh, als ich gedacht hatte«, sagte sie.
    Unten vor dem Eingang stand, in zweiter Reihe geparkt, der Fiat Panda der Hebamme. In ihrem hochschwangeren Zustand schien das Auto für Mirjam zu klein, aber es ging gerade noch. Mit der Hebamme am Lenkrad und uns nebeneinander auf der Rückbank war der Panda mehr als voll.
    »Hilfe, meine Klaustrophobie …«, keuchte mir Mirjam heiß ins Ohr.
    Die Hebamme bog nach links in die De Lairessestraat ab, wo der Morgenverkehr, so früh es noch war, bereits nervös in Gang kam. Der Fiat arbeitete sich mit kleinen Rucken, eher Sprüngen, voran, und Mirjam wimmerte leise.
    »Hoffentlich sind wir bald im VU «, flüsterte sie.
2
     
    Der Polizeibus wurde jetzt viel weniger durch den Verkehr behindert als der Fiat damals. Normalerweise war um zehn vor zehn die morgendliche Stoßzeit noch nicht vorbei, aber uns kam jetzt der Sonntag zugute. Wir fuhren an einem übersichtlichen Betriebsgelände entlang, aus dem als terrassenförmiger Bau das Academisch Medisch Centrum aufragte. Da drinnen irgendwo, mitten in dem Labyrinth aus überhellen Gängen, kümmerten sich maskierte Ärzte um Tonio.
    Wenn er noch lebte.
    Wie jetzt in dem kleinen Bus saß vor zweiundzwanzig Jahren in dem Panda Mirjam links von mir. Ich hielt sie auch damals in meinen Armen und drückte sie an mich, weshalb ich jede Wehe durch meinen eigenen Körper gehen fühlte – na schön, oberflächlich, denn wirklich mitspüren konnte ich den Schmerz nicht. Von Zeit zu Zeit zog Mirjam mich schwach am Ärmel, um mir zu bedeuten, ich solle meinen Griff, der die Wehen nicht auffing, etwas lockern.
    Zweimal schon hatte ich Todesängste in so einem kleinen Fiat ausgestanden. Der eine wurde, im Winter ‘77, von der jungen Florentinerin Maria-Pia Canaponi gesteuert, die mich zusammen mit einem Freund aus dem hochgelegenen Fiesole ins irgendwo unten, in der dämmrigen und nebligen Tiefe gelegene Florenz brachte. Wie mir während all der Jahre in Erinnerung geblieben war, ließ sie sich mitsamt ihrem Auto einfach nach unten fallen – wenngleich die Räder hier und da in einer Haarnadelkurve die Straße berührten, aber dann eher so, wie die Schuhsohlen eines Bergsteigers den Steilhang antippen, an dem entlang er sich mit Hilfe eines Seils und einer Umlenkrolle in die Tiefe sacken läßt.
    Der andere Fiat bohrte sich, ebenfalls irgendwann Mitte der siebziger Jahre, durch die Hölle des Pariser Morgenverkehrs. Am Steuer eine Pariserin, auf

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