Tonio
zu jedem unerwünschten Moment überfallen konnte, nicht nur wenn es um Tonios Verletzbarkeit ging. In der Vision war manchmal zynischerweise Raum für Rettung: die mit Luft gefüllte Pamper, die wie Donald Ducks Bürzel aus dem Wasser ragte und so als Schwimmweste fungierte.
KAPITEL V
Verliebt gegen
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Aus: Gelbe Seiten 1992 (Region Amsterdam)
1
Ich wohnte noch immer im Viertel Duivelseiland, doch der Kurssturz meiner Ehe schien gestoppt.
Die irrsinnige Bücherwoche lag hinter uns. Jetzt, da ich mich, nach wie vor aus dem »indischen« Koffer meines Vaters lebend, mehr und mehr in meiner Arbeitswohnung verkroch, suchte Mirjam öfter Annäherung. Regelmäßig hinterließ sie eine Nachricht auf meinem Anrufbeantworter, und sei es nur, um ihrem Abscheu über das schmalzige » Hello, how are you …« von Electric Light Orchestra Ausdruck zu verleihen, das als Intro zu der Ansage diente, die den Anrufer zum Hinterlassen einer Botschaft einlud: »Nach Mister Beep.« (Letzteres war eine Anspielung auf eine Figur in A Room with a View , einem Film, den ich mit Mirjam in besseren Zeiten gesehen hatte – ein Hinweis, der, wie ich hoffte, ihr nicht entgehen würde. In die Enge getrieben, sind wir auf einmal zu jeder Subtilität bereit.)
Das war doch mal was für die Zeitung: Ein paarmal ludsie mich ein, in einer unserer früheren Stammkneipen etwas trinken zu gehen. Sie brachte mir dann ein kleines Geschenk mit, eine CD oder ein Schreibheft mit festem Einband, und war so lieb zu mir, daß die Umstehenden, die selbstverständlich über unsere Krise voll im Bilde waren, voreilig daraus schlossen, wir hätten sie beigelegt. Bei einer dieser Gelegenheiten, unsere Gläser waren noch so gut wie voll, zog sie mich am Arm vom Tisch: »Komm mit.«
Ich konnte kaum mit ihr Schritt halten, so stramm marschierte sie los, über zwei Brücken, nach links, nach rechts bis zur Leidsegracht Nummer 22, wo sie mich auf dem Wohnzimmersofa (nicht im Bett) verführte. Ich wurde schlichtweg gezwungen, meine ehelichen Pflichten zu erfüllen, deren ich viele Wochen zuvor unehrenhaft entbunden worden zu sein schien. Danach hatte sie es eilig, Tonio aus der Krippe abzuholen. Ich durfte nicht mit. Unter keinen Umständen. Ich glaubte zu wissen, warum: Jetzt, da sie sich unerwartet hatte gehen lassen, wollte sie wenigstens Tonio als Druckmittel in der Hand behalten. Ich fragte Mirjam, wie es nun mit uns stünde. »Ich meine … mit dir und mir.«
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich bin noch immer sehr verliebt.«
An der Gracht verabschiedeten wir uns.
»Sag was Liebes zu Tonio«, sagte ich. »Was Liebes von mir. Ich will nicht, daß er mich vergißt.«
Nach links, nach rechts, über zwei Brücken: Ich eilte in die Kneipe zurück, in der wir vor lauter Eile die Getränke nicht bezahlt hatten. Sie standen noch da – lau, aber trinkbar. Während ich sie hinunterwürgte, begann mir etwas zu dämmern. Diese ihre Verliebtheit … sie führte sie zu oft ins Gefecht. Mit einemmal, in dieser kostbaren Klarheit post coitum, wußte ich: Sie war nicht sosehr verliebt in diesen anderen als vielmehr verliebt gegen mich .
2
Beim nächsten Mal, als sie anrief, ging ich dran. Das heißt, der Lautsprecher des Anrufbeantworters war an, das » Hello, how are you …« ertönte schmeichelnd und säuselnd, und nach Mister Beep war Mirjams Stimme im Zimmer.
»Adri, geh mal dran … Ich weiß, daß du da bist. Adri?«
Ich nahm den Hörer ab und schaltete gleichzeitig den Anrufbeantworter aus. »Du warst verliebt gegen mich«, sagte ich.
»So?«
»Nicht in ihn – gegen mich.«
»Gibt‘s das?«
»Du hast das erfunden.«
»Boh, und ohne es zu wissen.«
»Es gibt noch eine andere Form von verliebt gegen .«
»Ich wundere mich über gar nichts mehr.«
»Verliebt ineinander und gemeinsam verliebt gegen die Welt.«
»Klingt nicht schlecht.«
»Machst du mit?«
»Man könnte darüber nachdenken.«
3
Verliebt gegen . Jetzt, da ich wußte, was ich vorher nicht gewußt hatte, und wußte, daß Mirjam wußte, was ich vorher nicht gewußt hatte, konnte ich beinahe ein gewisses Mitgefühl für meinen erklärten Rivalen aufbringen. Our Man In Africa hatte, auch während
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