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Tonio

Tonio

Titel: Tonio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.f.th. van Der Heijden
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wie er das nennt.«
    Als die Röhrenglocken schwiegen, lauschten wir beide angespannt, ob wir Tonio weinen hörten. Nein, kein Mucks. Damit das Glockenspiel nicht erneut einsetzte, eilte ich zur Wechselsprechanlage. »Hallo?« Es war Mijnheer Rat, der, wie er mit seiner Knarzstimme sagte, »das neue Haus einsegnen kam«.
    Unrat, schon jetzt.
    Bereits vor unserem Umzug in die Veluwe stieß meine Geduld mit den Menschen an ihre Grenzen. Rückblickend wunderte ich mich, wie unbesorgt ich zehn Jahre zuvor noch fast jedem von vornherein vertraute. Wenn das Vertrauen mißbraucht wurde, konnte ich ja immer noch entscheiden und Maßnahmen ergreifen. Mein Haus war ein gastfreundliches Haus. Ich war unbelehrbar. Ich ließ immer wieder zu,daß zweifelhafte Leute darin herumschnüffelten, um danach ihre Erkenntnisse zu der Geschichte umzumodeln, die bei anderen gut ankam. Ich war naiv genug, mich ernsthaft über die Versionen zu wundern, die mir dann zu Ohren kamen.
    Das Haus in der Johannes Verhulst hatte ich von einem Pornobaron im Ruhestand übernommen. Sein Lager befand sich im Souterrain, wo er die Regale benutzte, die noch vom Weinhändler Leuchtmann stammten. Die Nachbarn zeigten sich erleichtert, daß die Lieferwagen mit den verhangenen Fenstern vor ihrer Tür verschwanden. Nachdem der Kauf beim Notar besiegelt worden war, besuchte ich meine Stammkneipe, in der die Story »Adri hat ein schickes Bordell in Amsterdam-Zuid übernommen« bereits kursierte. So eine groteske Klatschgeschichte gefiel mir ja noch. Anders verhielt es sich mit der systematischen Verleumdung, die nur dazu diente, ihr Objekt zu beschädigen.
    Die Umzugskartons waren noch nicht ausgepackt, doch Mijnheer Rat, in Begleitung seiner Miss Piggy ähnelnden Verlobten, hielt es nicht länger für vertretbar, sein raschelndes Herumgeschnüffel weiter hinauszuschieben. Vielleicht war ihm ja der Klatsch über das »schicke Bordell« zu Ohren gekommen.
    »Wir wollen das Haus einweihen«, sagte er und streckte Mirjam eine Flasche Weißwein entgegen, die, sehr aufmerksam, in Aluminiumfolie gewickelt war, damit sie kalt blieb. »Mein Gott, Adri, siehst du verschlafen aus.«
    Ich hatte tatsächlich den größten Teil der vergangenen Nacht kein Auge zugetan, weil vor dem Umzug noch soviel eingepackt werden mußte, doch meine Gastfreundschaft siegte über die Müdigkeit. Wir setzten uns auf den Balkon, und ich öffnete die Flasche.
    Ob es an der sommerabendlichen Kühle lag oder am kalten Wein, Mijnheer Rat mußte alle naslang aufs WC . Es gab auf jeder Etage eines, und ich hörte ihn die Spülung jedesmal bei einer anderen Toilette betätigen. Von Mal zuMal blieb er länger weg. Mijnheer Rat machte seine Schnüffelrunde.
    »Jetzt verstehe ich, warum du so schlaftrunken aussiehst«, sagte er nach der soundsovielten Inspektion. »Du bist ja schwer tablettensüchtig.«
    »Wie bitte?« Mirjam und ich sahen uns an.
    »Ja, die Tür von deinem Arbeitszimmer stand auf, und da sah ich die ganzen Schachteln mit den Schlafkapseln. Zero-3. Ein schweres Mittel, wie ich weiß. Das kann ein Pferd umhauen.«
    Nach dieser Äußerung hätte ich ihn umhauen müssen, aber nicht mit einem so harmlosen Mittel wie Zero-3.
    »Was du gesehen hast, ist ein Mittel zum Abnehmen«, sagte ich. »Drei Tage pro Woche, Montag, Mittwoch und Freitag, ißt du gar nichts. Schluckst aber alle zwei Stunden ein paar von diesen Zero-3-Kapseln. Sie quellen im Magen auf und bewirken damit ein Völlegefühl. Ich empfehle es niemandem.«
    Mijnheer Rats Gesicht zeigte eine leichte Verärgerung. In Anbetracht der eigenen Abhängigkeit – von anderen Mitteln – ließ er sich seine Entdeckung nicht so leicht nehmen. Er schüttelte den Kopf. »Zero-3 ist ein schweres Schlafmittel, das ist bekannt. Mein Stammpförtner in der Reguliersdwarsstraat verkauft die Kapseln auch. Mir gegenüber brauchst du nicht so geheimniskrämerisch zu tun.«
    »Wenn du wieder auf die Toilette mußt«, sagte ich, »dann mach doch so eine Schachtel auf und lies den Beipackzettel.«
    Mijnheer Rat mußte nicht mehr auf die Toilette. Genug geschnüffelt: Er hatte seine Information. Weil ich nach seinem Besuch wochenlang damit beschäftigt war, das Haus einzurichten, und kaum vor die Tür kam, dauerte es einen ganzen Monat, bevor ein Bekannter mich auf meine besorgniserregende Abhängigkeit von schweren Schlafmitteln ansprach.
    »Tja, was willst du machen«, sagte ich. »Bei so ‘nem Bordellbetrieb im Haus würde ich sonst überhaupt kein

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