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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Mingels
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nicht mag, platzte Frank heraus, doch da sagte Esther: Hör auf. Es reicht.
    Er fuhr auch tatsächlich zurück, begann sie erneut nach einer Pause, in der sie sich nicht angesehen hatten. Aber wir schrieben uns.
    Zögerlich zunächst: harmlose kleine Briefe, flirtend, das ja, aber ohne dass sie einander Versprechungen machten oder eine gemeinsame Zukunft entwarfen. Irgendwann wurden sie deutlicher, er fing damit an, glaubte Esther später, aber sicher war sie sich nicht. Hatten sie das damals alles ernst gemeint? Seine Behauptung, unglücklich zu sein, ohne sie. Ihre Bitte, dass er zu ihr kommen, bei ihr bleiben möge. War es wirklich das gewesen, was sie fühlten? Oder waren sie einfach leichtsinnig gewesen und hatten etwas zitiert, was zu dieser Art von Briefen passte? Nicht gerade eine Lüge. Aber auch nicht die ganze Wahrheit.
    Es war Jeans Frau, die das alles beendete: Sie hatte die Briefe gefunden, Jean hatte sie in einer Zinnvase versteckt, die auf einem der Küchenschränke stand und seit Jahren nicht benutzt worden war. Es hatte einen fürchterlichen Streit wegen der Briefe gegeben. Jeans Frau hatte für drei Tage das Haus verlassen und war unauffindbar gewesen. Als sie wiederkam, verlangte sie die Scheidung.
    Ich glaube, sie haben sich schon lange nicht mehr gut verstanden, sagte Esther. Vielleicht hatte sie auch jemand anders? Ich weiß es nicht. Jean spricht nicht darüber.
    Sie betrachtete die Zimmerdecke, die von drei dunklen Längsbalken unterteilt wurde, und langte mit einer Hand nach dem Zigarettenpäckchen auf dem Nachttisch.
    Wie dem auch sei. Sie zündete sich die Zigarette an und gähnte. Auf jeden Fall kam er dann zu mir, einen einzigen Koffer hatte er dabei, er wollte eine Woche bleiben und blieb bis heute.
    Sie lachte in der Erinnerung daran.
    Er kündigte telefonisch seinen Job. Bereits nach zwei Wochen begann er, sich nach einer größeren Wohnung umzuschauen und nach einer neuen Beschäftigung. Er war Tierarzt, musst du wissen, und nun fing er als Helfer in einem Tierheim an, bis er die Sprache beherrschte. Das hat mich sehr beeindruckt – diese Konsequenz, meine ich, diese Bereitschaft, alles für mich aufzugeben.
    Arbeitet er jetzt wieder als Tierarzt?
    Ja, sagte Esther. Er hat eine eigene Praxis. Kleintiere. Mäuse, Ratten, Hamster, Katzen, Hunde. Manchmal würden auch Alligatoren zu ihnen in die Praxis gebracht, vor Kurzem ein Leguan mit einem gebrochenen Zeh.
    Die haben lange Zehen, eigentlich eher Finger. Sie hielt ihm ihre kindlich gespreizte Hand vors Gesicht. Der Mittelfinger, sagte sie, der längste von allen, war ganz rot und dick, und der Alligator machte die ganze Zeit ein sehr sorgenvolles Gesicht.
    Warst du denn dabei?
    Esther nahm einen letzten Zug von der Zigarette, bevor sie sie im Aschenbecher ausdrückte.
    Ich helfe ihm manchmal. Am Wochenende.
    Sie beugte sich zu Frank hin und küsste ihn mit spitzen Lippen, und er erwiderte ihren Kuss, der klein und abschließend war wie ein Punkt am Satzende.
    Morgen mehr davon, versprach sie und löschte das Licht.
    Sie stemmten sich gegen den Wind, der jetzt leichten Regen mit sich brachte. Zwei Frauen mit drei kleinen Hunden kamen ihnen entgegen. Als sie fast auf gleicher Höhe waren, blieben sie mit strengen Gesichtern stehen, um die Gruppe passieren zu lassen. Einer der Hunde bellte kurz und halbherzig, während die anderen beiden quer über den Strand in Richtung der Dünen rannten.
    Lone hatte ihre Kappe bis an die Augenbrauen herabgezogen. Sie rieb ihre Hände, um sie aufzuwärmen, drehte sich, lief einige Meter rückwärts und lächelte jeden an, dessen Blick ihr begegnete. Die beiden Schweizer gingen nebeneinander, mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen und gesenkten Köpfen. Von Zeit zu Zeit blieb Frank stehen und nahm seine Brille ab, um sie mit einem Taschentuch von den Regentropfen zu reinigen, und Esther verlangsamte unmerklich ihren Schritt, bis er sie wieder eingeholt hatte.
    Kinderstimmen drangen an ihre Ohren, ohne dass sie einzelne Worte hätten verstehen können. Als sie sich dem blauweißen Holzhaus der Küstenwacht näherten, sahen sie die Kinder. Eine Gruppe von etwa zwanzig, im Alter zwischen sechs und zwölf, schätzte Esther, alle mit hellblauen Windjacken und roten Halstüchern bekleidet. Sie saßen im Windschatten des Hauses. Zwei Betreuer, junge Männer in den gleichen blauen Jacken, lehnten unbeteiligt an der Holzwand, die Köpfe zurückgelegt, die Augen geschlossen, die Arme auf die Knie

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