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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Mingels
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Elefanten gehört. Auch nicht ungefährlich. Besonders für den Pfleger.
    In Momenten großer Freude oder Erregung, sagte Frank.
    Sie saßen in seinem Hotelzimmer. Er hatte sich auf das Bett gelegt und Esther hatte den Stuhl vom Schreibtisch weggerückt und sich – ihm zugewandt, aber in sicherem Abstand – hingesetzt.
    Hab ich’s doch gleich gewusst, dass die beiden ein Paar sind, sagte er.
    Auf regung, korrigierte Esther ihn. Sie hat Aufregung gesagt, nicht Erregung.
    Aber gemeint hat sie Er regung. Frank schloss die Augen. Stell dir die beiden mal im Bett vor. Wie er, mitten im Akt, zusammenklappt. Alle Muskeln erschlaffen. Alle!
    Er lachte wieder.
    Und sie? Was meinst du, was sie macht? Zitiert Goethe, bis er wieder erwacht? Zählt Schäfchen? Denkt über ihren nächsten sterbenslangweiligen Aufsatz zum spätmittelalterlichen Minnelied nach?
    Du bist bösartig, sagte Esther und zog eine Grimasse, um nicht mitlachen zu müssen.
    Ich weiß, sagte Frank und klopfte mit der flachen Hand auf das Bett. Komm und rette mich. Lass meine Bösartigkeit sich mit deiner Güte mischen, dann kommt am Ende etwas Erträgliches heraus. Das nennt man Alchimie, weißt du?
    Esther sah ihn mit einer Mischung aus Ungeduld und Belustigung an.
    Das nennt man Sex, sagte sie.
    Sie erhob sich, ließ aber eine Hand auf der Lehne des Stuhls liegen. Hielt sich daran fest, bereit, sich sofort wieder hinzusetzen, falls Frank etwas Falsches sagen, eine falsche Bewegung machen würde. Sie lächelte ihn an. Großäugig. Scheu. Ärgerte sich. Dass man immer wieder in die gleichen Rollen verfiel, die alten Schemata benutzte.
    Was ist?, fragte Frank. Überlegst du dir das weitere Vorgehen?
    Er sprach leise, der Spott in seiner Stimme nichts als Zustimmung: Spiel nur, schien er zu sagen. Ich spiele mit. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie sie ihn wahrgenommen hatte, als sie ihn zum ersten Mal sah. Erst zwei Tage waren seitdem vergangen. Hatte sie ihn nicht verachtet? Ihn lächerlich gefunden, in seinem Bemühen, sich von den anderen abzuheben, die eigene Bildung zu präsentieren? Hatte sie nicht die dicken Gläser seiner Brille bemerkt, die ihm den Anschein gaben, einfältig zu sein, fast ein wenig begriffsstutzig? Von welchem Moment an hatte sie sich ihm unterlegen gefühlt? Wann war sie geschehen, diese Umkehrung der Positionen? Warum fühlte sie sich plötzlich so klein?
    Alles in Ordnung?, fragte Frank.
    Er hatte sich aufgesetzt und sah sie mit gespielter Ratlosigkeit an. Es war klar, dass er sie durchschaute. Dass er wusste, warum sie zögerte. Warum sie immer noch neben dem Stuhl stand. Warum sie ihn anstarrte, als verfügte er über einen Zauber, der sie bannen, sie in die Vergangenheit schicken konnte: in die Kindheit, die Unberührtheit, die Scham des ersten Verlangens.
    Nichts, sagte sie und ging auf ihn zu. Schritt für Schritt, Fuß vor Fuß. Sie dachte an die Verkäuferin, die sie im Inselladen bedient hatte. Der breite Rücken, Hüfte, Po. Alles zu weich, zu viel. Sie war linkisch wie sie. Sie fühlte, dass sie jeden Moment stürzen konnte. Er würde sich abwenden von ihr, enttäuscht von ihrer Gewöhnlichkeit. Sie wäre keinen Deut besser als die, über die er spottete. War es das, wovor sie Angst hatte: von ihm verachtet zu werden? Aber was gab ihm diese Macht, woher kam diese Möglichkeit des Leids, die plötzlich aufschimmerte, klar und Schmerz bringend wie eine der gestrandeten Quallen, denen sie ausgewichen waren? Und dann war sie bei ihm und er griff nach ihrem Arm, um sie an sich zu ziehen.
    Erzähl mir noch etwas über dich, sagte sie, als sie bereits zur Tür gegangen, dann aber doch noch einmal zum Bett zurückgekommen war.
    Gib mir etwas mit auf den Heimweg, wie man Kindern am Ende der Feier ein kleines Säckchen mit Süßigkeiten mitgibt.
    Er drehte sich zu ihr um. Die Brille lag auf dem Nachttisch, sie fragte sich einen Moment, wie viel er überhaupt sehen konnte. Ob sie für ihn nicht aussehen musste wie jede andere Frau, vielleicht sogar wie seine Frau. Ob ihm das recht war, diese Beliebigkeit.
    Okay, sagte er, du darfst wählen: eine Erinnerung oder einen Wesenszug?
    Ich nehme den Wesenszug, sagte sie im Ton einer Kundin, die willkürlich und ein bisschen gelangweilt zwischen ausliegenden Waren wählt.
    Frank setzte die Brille auf und gleich wieder ab.
    Ist dir schon mal aufgefallen, sagte er, dass fast alle Menschen, wenn sie ihre negativen Eigenschaften nennen sollen, positive nennen?
    Natürlich war das eine

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