Tontauben
gestützt. Esther hatte den Eindruck, dass sie nicht wirklich schliefen, sondern den Kindern etwas beweisen wollten. Dass sie ihnen vertrauten, vielleicht. Oder dass sie trotz der geschlossenen Augen alles mitbekämen. Ein schwarzes Mädchen mit krausen, langen Haaren grub mit einer Hand ein Loch, während es einem Jungen zuhörte, der dicht neben ihr saß und mit prahlerischem Gesicht etwas erzählte. Einer der älteren Jungen führte pantomimisch etwas vor, nur wenige der Kinder schauten ihm dabei zu.
Glaubst du, das sind Pfadfinder?, fragte Esther.
Frank betrachtete mit gerunzelter Stirn die Mädchen und Jungen, bevor er antwortete.
Keine Ahnung. Vielleicht irgendeine kirchliche Sache. Evangelische Jugendgruppe oder so.
Er war stehen geblieben und versuchte mit gekrümmtem Rücken eine Zigarette anzuzünden.
Hilfst du mir mal?, fragte er ungeduldig, und Esther trat näher an ihn heran und hielt beide Hände schützend um die kleine Flamme seines Streichholzes.
Er zog zweimal heftig an der Zigarette, bis die Spitze rot aufglomm, und betrachtete einen vorbeilaufenden Jogger mit engen, glänzenden Synthetikhosen. Dann wandte er sich wieder Esther zu.
Weißt du, dass du Stachelbeeraugen hast?
Esther krauste die Nase, als hätte sie etwas gerochen, das ihr nicht gefiel.
Unsinn.
Doch, so ein komisches helles Grün, fast ein bisschen gelblich. Katzen haben solche Augen. Schlangen auch.
Er steckte sich die Zigarette in den Mundwinkel und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Es sah albern aus. So, als machte er jemanden nach. Einen Schauspieler, dachte Esther, oder eine Pose, die er auf einem Bild gesehen hat. Wenn sie an ihm vorbeischaute, konnte sie die Kinder beobachten. Der Junge hatte seine Vorführung beendet und saß nun etwas abseits der Gruppe, die Beine in den Bermudas ausgestreckt, den Blick seiner Hand zugewandt, mit der er immer wieder über den Sand strich. Es war offensichtlich, dass die anderen Kinder ihn nicht mochten und dass auch seine Vorstellung daran nichts geändert hatte. Drei Mädchen waren ans Ufer gelaufen und wichen springend den Wellen aus. Die Betreuer hatten sich erhoben, sie standen mit verschränkten Armen vor dem Holzhaus und betrachteten die Kinder. Wie zwei Wachleute, dachte Esther. Oder wie Forscher. Als handelte es sich bei diesem Ausflug um ein Experiment. Als sei die eintönige, ereignislose Veranstaltung eine Versuchsanordnung und die Kinder die freiwilligen oder unwissenden Probanden.
Frank beugte sich mit einer raschen, unerwarteten Bewegung nach vorne und küsste Esther auf den Mund. Aus den Dünen war ein Ächzen zu hören und gleich darauf ein Geräusch, das wie das Zuklappen einer Tür klang. Ein Vogel schrie böse auf und flog über die Düne. Keine Möwe, wie Esther zuerst gedacht hatte. Der Vogel war kleiner als eine Möwe, sein Rücken schwarz, der Bauch leuchtend weiß. Kurz ließ er sich von der Luft tragen, dann begann er umso heftiger zu schlagen und entfernte sich rasch.
Was war das für ein Vogel?, fragte Esther.
Frank drehte sich suchend um.
Wo?
Esther schüttelte den Kopf.
Egal.
Sie stellte den Kragen ihrer Jacke auf.
Egal, wiederholte sie. Wir sollten uns beeilen.
Sie liefen los, nahe am Ufer, wo der Sand fester war und schraffiert wie Quarz.
Auch wieder da?, fragte Henner, als sie die Gruppe erreichten.
Zigarette, entgegnete Frank knapp und hob wie zum Beweis seine Hand mit der brennenden Zigarette hoch.
Schon klar, sagte Henner.
Seine schwarzen kurzen Haare sahen feucht aus. Statt wie sonst glatt am Kopf anzuliegen, standen sie dicht wie das ölige Fell eines Bibers über seiner Stirn. Er grinste und gab dabei ein klackendes Geräusch von sich, das er weit hinten im Gaumen erzeugen musste. Er wandte sich von ihnen ab. Esther hob eine der braunen Früchte auf, die überall am Strand lagen, kirschgroße, gummiartige Hülsen, die sich eindrücken, aber nicht öffnen ließen, und schmiss sie Henner hinterher, ohne ihn zu treffen. Frank lachte.
Henner-Penner, flüsterte er.
Sie hatten ihm diesen Namen gegeben, weil er mehrmals während der Vorträge eingeschlafen war, den Kopf auf die Tischplatte gesenkt, den Mund hilflos offen stehend, dann und wann ein sanftes Rasseln von sich gebend. Ich möchte etwas erklären, hatte Henner in der Mittagspause des zweiten Tages angekündigt. Er war aufgestanden, um zu sprechen, und hatte sich mit gespreizten Händen auf dem Tisch abgestützt. Ein Knopf seines Jacketts war geschlossen, der spitze
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