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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Mingels
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die Nacht noch dunkler und ließ die Tannen schwarz wie Petroleum aussehen. Sie konnte hören, wie Frank ein hustendes Lachen von sich gab und einen Gang einlegte.
    Also gut, sagte er. Noch fünfzig Meter.
    Zu ihrer Überraschung hatte er einen versöhnlichen Ton angeschlagen, fast, als zollte er ihrer Schlagfertigkeit Respekt. Vielleicht war es ihm auch einfach mit seiner Absicht ernst und er wollte sich nicht von einem Streit die letzte gemeinsame Nacht verderben lassen.
    Er stoppte den Wagen und sah Esther abwartend an.
    Und jetzt?
    Noch ein Stück, sagte sie, ich glaube, wir müssen noch etwas weiter fahren, und dann kehren wir wieder um und ich laufe ein paar Meter die Böschung ab, okay?
    Frank schüttelte den Kopf. Weiter weg war das nicht, wir sind wahrscheinlich schon viel zu weit gefahren.
    Die Straße vor ihnen sah genauso aus wie die Straße hinter ihnen. Zu beiden Seiten zeichnete sich in der Ferne ein helleres Rund ab wie die zwei Öffnungen eines Tunnels. Vielleicht hatte er recht. Vielleicht waren sie wirklich schon an der Stelle vorbeigekommen, die sie suchten.
    Meinetwegen, willigte Esther ein. Dann steige ich halt hier aus und du fährst nebenher.
    Du wirst nass bis auf die Haut, gab Frank zu bedenken, doch als sie nicht antwortete, wendete er den Wagen und ließ sie aussteigen.
    Zunächst fuhr er neben ihr her, ein schwerfälliges schwarzes Ungetüm mit silbernen Fensterumrahmungen und einer Antenne, die jetzt mit leisem Surren in der Motorhaube verschwand. Esther hielt den Blick auf die Böschung gerichtet, die nach einem gras- und unkrautbestandenen Streifen in dichten Wald überging. Nur was sich direkt am Straßenrand befand, war zu erkennen: Weißköpfige kleine Blumen, hochschießendes Unkraut, leere Flaschen, eine helle Plastiktüte. Esther blieb stehen, bündelte die nassen Haare zu einem Pferdeschwanz, aus dem sie das Wasser presste. Dann gab sie Frank ein Zeichen, und er zuckte mit den Achseln und ließ die Seitenscheibe hinunter.
    Was ist?, rief er.
    Du musst hinter mir fahren, sagte sie, nicht neben mir. Sonst sehe ich nicht genug.
    Sie wartete nicht, ob er etwas entgegnen würde, sondern wandte den Blick schon wieder ab. Im Unterholz hörte sie ein Knacken, es klang, als hätte ein Tier die Flucht ergriffen. Frank ließ sie einige Meter vorausgehen, dann fuhr er langsam an und richtete das Fernlicht auf sie, so dass die Böschung von Schatten schraffiert war und das Grün der Wiese, das Braun der Baumstämme, die hellen Sprenkel der Abfälle deutlicher hervortraten. Sie ging weiter, fünf Minuten, vielleicht zehn. Wenn sie den Blick hob, schien das Ende des Waldes immer gleich weit entfernt zu sein. Als wäre sie in einen Traum geraten, in dem sie lief und lief und dabei nur auf der Stelle trat.
    Nichts, sagte sie, als sie wieder ins Auto kletterte. Kein Waschbär, kein Vogel, keine Katze.
    Sie lachte leise und strich sich die nassen Haare zurück.
    Keine Zwerge, keine Wichtel, keine Elfen, nur ein paar Flaschen.
    Dann bist du also endlich beruhigt?, fragte Frank.
    Er hatte den Motor abgestellt, nun lehnte er sich zu ihr hinüber, zog den Ärmel seines Pullovers unter der Jacke hervor und wischte ihr damit das Wasser vom Gesicht. Sie nickte. Tatsächlich fühlte sie sich so erleichtert, als wäre sie einer Bedrohung entkommen. Als hätte sie eine Gefahr heraufbeschworen, die nicht nur diesen Abend betraf, nicht nur ihre Beziehung zu Frank – welcher Natur auch immer diese Beziehung war –, sondern ihr ganzes Leben. Und als wäre sie verschont geblieben, entgegen aller Wahrscheinlichkeit. Es hatte etwas Märchenhaftes an sich.
    Der Regen ließ nach, sie fuhren los und Frank sah von Zeit zu Zeit zu ihr herüber. Sie wich seinem Blick nicht aus, sie blinzelte ihm zu und er lächelte. Es war, als wunderten sie sich beide ein wenig über die vergangenen Ereignisse und als freuten sie sich auf das, was vor ihnen lag: auf die restlichen Stunden der bereits weit fortgeschrittenen Nacht. Auf den Morgen. Auf all die Tage, die jedem von ihnen blieben.

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