Tontauben
bückte sich und berührte den Schaum, der sich sofort auflöste.
Das Hotel wirkte vom Strand aus größer. Das untere Geschoss und einige der Zimmer waren erleuchtet, die Bäume im Garten beugten sich einander zu, schwarze, trunkene Riesen, die bedrohlich wankten. Sie liefen einige Schritte und wechselten dann die Richtung.
Allein hätte ich hier Angst, gestand Esther und bereute es sofort. Wegen der Dunkelheit, meine ich. Und weil niemand einen hört, wenn man schreit.
Frank sah sie kurz an, sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber sie stellte sich vor, dass er spöttisch war.
Nun, allein bist du immerhin nicht.
Dann schwiegen sie wieder, und es war gut, dass sie aufs Meer schauen und so tun konnten, als würde sie das, was sie da sahen – die heranrollenden Wellen, die Wolken, die sich gemächlich wie grasende Tiere vor das blasse Rund des Mondes schoben –, voll und ganz in Anspruch nehmen.
Tja, sagte Esther schließlich und kreuzte fröstelnd die Arme vor der Brust.
Warum sprach er nicht? Weshalb hatte er mit ihr spazieren gehen wollen, wenn er dann nichts zu sagen hatte? In ihren Ärger über ihn mischte sich Wut auf sich selbst: Wieso war sie überhaupt mitgegangen?
Ich geh wieder rein, sagte sie, schroffer als geplant, und Frank drehte sich zu ihr um, ruckartig, als hätte sie ihn erschreckt, und rief mit seltsam dünner Stimme: Warte! Er räusperte sich. Lass uns noch ein bisschen bleiben. Ist dir kalt?
Er trat näher an sie heran und wiederholte leise: Ist dir kalt?
Als sie nickte, legte er beide Hände auf ihre Oberarme und rieb sie.
Besser so?
Ich sollte ihn bitten, damit aufzuhören, dachte Esther. Gleichzeitig kam ihr ein Bild in den Kopf, ein Ferientag in den Bergen, wie alt war sie gewesen? Acht oder neun? Sie war beim Skilaufen hingefallen, der hellblaue Anzug nass von Schnee, der sich sogar in den Spalt zwischen Kragen und Nacken schlich. Sie hatte gezittert und mit dem Gedanken gespielt, zu weinen, und ihr Vater hatte sie ebenso gewärmt.
Sie sagte: Ja. Besser so.
Die Lämmer näherten sich neugierig den Spaziergängern, leise meckernd, als wollten sie einander warnen. Sie hatten wollige, plumpe Stirnen und kurze Schwänze. Von den Augenwinkeln zogen sich schwarze Striche herab, die ihnen ein exotisches Aussehen gaben. Claire versuchte, eines der Lämmer zu streicheln, doch als sie die Hand ausstreckte, machte es zwei Sprünge nach hinten.
Sie liefen auf dem Deich nach Süden, das Watt zu ihrer Linken, rechts von ihnen Wiesen, Bäume, ein Zaun, hinter dem Zaun der Souvenirladen, in dem es Mobiles aus Holzfiguren, handbemaltes Geschirr, Muscheln und Aquarelle zu kaufen gab. Am zweiten Tag, in der freien Stunde zwischen dem letzten Vortrag und dem Beginn des Abendessens, hatte Esther hier eines der Bilder gekauft. Es hatte an einer Zuckerdose gelehnt, und sie war so unvorsichtig gewesen, es in die Hand zu nehmen, um es genauer zu betrachten. Matte, verwischte Farbflecken, abstrakt genug, dass sich erst bei näherem Hinsehen die Insel darin erkennen ließ. In der rechten unteren Ecke die Initialen K. und W. Als sie aufblickte, stand die Verkäuferin nur eine Armlänge von ihr entfernt. Im schmalen Gang zwischen den Regalen wirkte sie plump, beinahe unförmig. Unter einem türkisblauen Umhang trug sie ein beiges Kleid, das ihre Formen überdeutlich abzeichnete.
Schön, sagte Esther erschrocken. Sehr schön.
Sie lächelte, während die Verkäuferin sie noch immer ungerührt ansah, und statt es zurückzustellen, trug Esther das Bild zur Kasse.
I don’t like lambs, stellte Johan Mortimer fest.
Esther war sich nicht sicher, ob er die Tiere meinte oder das Essen. Zwischen dem Schilf entdeckte sie eine Gruppe von Vögeln, reglose, schwarzhalsige Tiere, die im niedrigen Wasser hockten und nur von Zeit zu Zeit ihre Köpfe nach vorne stießen. Der Deich endete an einem Durchgang. In den Boden war ein breites Eisengitter eingelassen, das die Schafe davon abhielt, den Deich zu verlassen. Unter dem Gitter war die Erde einen halben Meter tief ausgehoben. Sie passierten einer nach dem anderen den Durchgang. Esther war die Letzte. In einiger Entfernung konnte sie Lone sehen, die zu Beginn des Spaziergangs über Kopfschmerzen geklagt hatte und auch jetzt noch unzufrieden aussah, und Frank, dessen Haar im Nacken über den Rand der Jacke hing. Direkt vor ihr liefen Henner und seine Professorin. Es war vor allem Henner, der sprach. Die Professorin machte von Zeit zu Zeit ein Zeichen
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