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Tontauben

Tontauben

Titel: Tontauben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Mingels
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kann Davids Gesicht ansehen, wie sehr er sich um eine unvoreingenommene Haltung bemüht. So muss er mit seinen Schülern sein, denkt sie. Darum mögen sie ihn so gern. Und weil er witzig ist. Zu jedem eine Anekdote kennt, ein Erlebnis oder eine Aussage, die ihn kennzeichnet, aufs Freundlichste charakterisiert. Seine Schüler kommen oft noch Jahre nach dem Schulabschluss zu ihm. Sagen ihm, dass er es war, der ihnen die Zeit am Gymnasium erträglich gemacht hat. Manche von ihnen studieren später sogar Physik, darunter auch das eine oder andere Mädchen. Sie weiß, dass ihn das besonders freut. Auch wenn er es nicht zugeben würde.
    Eigentlich interessierst du dich ja wirklich für Häuser, sagt er. Ich meine, man müsste es mal ausprobieren, oder?
    Tja. Sie nimmt noch eine Scheibe Brot. Vielleicht.
    Musst du denn eine Ausbildung dafür absolvieren? Oder lernt man einfach alles bei einem der ansässigen Makler?
    Keine Ahnung, sagt Anne. Ich glaube, das erklärt Tristan mir alles noch.
    Nach dem Frühstück zieht sie Wanderschuhe an, einen Schal und ihren Anorak. Ruft den Hund, der vor Freude bellt und an ihr hochspringt. David sitzt in seinem Büro und korrigiert Arbeiten. Eine fremde Welt. Sie könnte die Arbeiten anschauen und würde nicht ein Wort davon verstehen. Sie hat es vor einigen Jahren versucht. Hat sich von David die Skizzen zeigen lassen, die Formeln und Versuchsanordnungen. Hoffnungslos. Das musste sogar er nach einiger Zeit zugeben. Du hast eindeutig andere Begabungen, sagte er. Sie dachte damals: Und welche? Dass sie ausgerechnet einen Physiker heiratete, hatte an ihrer Hochzeit Anlass zu etlichen Witzen gegeben. Was macht ein Physiker im Swingerclub? Er rechnet mit zwei Unbekannten. Warum lassen sich die meisten Physiker schnell wieder scheiden? Damit sie in Ruhe experimentieren können.
    Gehst du zum Markt?, fragt er, und sie sagt: Eigentlich nicht.
    Wir könnten Brot brauchen, Käse und Fleisch.
    Sie sagt: Dann gehe ich wohl.
    Sie hat den Vorgarten schon durchquert, als er noch mal die Tür öffnet.
    Du denkst schon daran, dass heute Christa kommt, oder?
    Sie sieht ihn einen Moment verwundert an, dann fällt es ihr ein: ihre Schwester kommt, mit ihr ein Mann. Ein neuer oder der alte? Nein, sagt sie sich, es muss ein neuer sein, der vom letzten Mal ist Geschichte, zum Glück. Sie erinnert sich an den Mann, der gut zehn Jahre jünger als Christa war. Den ganzen Abend hatte er nahezu sprachlos am Tisch gesessen. Hatte von einem zum anderen gesehen. Sobald jemand sprach, sah er diese Person nicht mehr an. Beobachtete stattdessen die Reaktionen der anderen, mit einem spöttischen Lächeln. Als wüsste er etwas, das den anderen verborgen blieb. Als gäbe sich der, der gerade sprach, eine Blöße.
    Wie findest du ihn?, fragte ihre Schwester, als sie am Abend zusammen im Bad standen. Anne sah sie im Spiegel an. Christa trug ein weißes Nachthemd mit weiten Ärmeln und einem Muster aus Lochstickerei, das ihr etwas Unschuldiges gab. Sie sah so erwartungsvoll aus, dass Anne wegschauen musste. Vielleicht, sagte Anne, etwas zurückhaltend? Das war das Äußerste. Weiter ging sie mit ihrer Kritik nicht. Zu viel Aufwand, zu viel Anlass zum Streit. Oh, das ist er nicht immer, sagte Christa und lachte.
    Trotzdem hatte sie sich einige Wochen später von ihm getrennt. Er habe ihr erklärt, erzählte sie am Telefon, dass er keine Prognosen abgeben könne. Es sei unklar, ob er sie nicht irgendwann wegen einer anderen Frau verlassen würde. Warum sagst du das?, habe Christa gefragt, und er habe gesagt: Weil das meine Gefühle sind. Ja, habe Christa gesagt, aber warum sagst du mir das?
    Kartoffeln, Karotten, Tomaten, Fleisch. Sollte der Mann Vegetarier sein, muss er sich mit den Beilagen behelfen. Ein Kuchen zum Nachtisch. Sie kauft ein Pfund Äpfel, ein Brot, das sauer riecht, Butter, die von einem großen gelben Butterklotz geschnitten und auf einer altertümlichen Waage gewogen wird. Aufs Gramm genau. Übungssache, sagt die Marktfrau, reine Übungssache. Der Hund sitzt neben Anne und wartet auf Leckereien. Nichts da, sagt sie und geht weiter. Am Rathaus vorbei, am dreistöckigen Kaufhaus, dessen roter Backstein weiß übermalt wurde. Vorbei an den hellgelben Arbeiterkolonien, den schmucklosen Hochhäusern, den Ferienhäusern, mit Namen wie ferne Geliebte: Esperanza, Utopia, Eden. Vorbei an der Schule, der Sportanlage, dem Schießplatz, auf dem ein paar Männer stehen. Einer hält ein Gewehr im Anschlag. Eine Tonscheibe

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