Tontauben
denn der Mann nickt. Der kleine Junge läuft von einem Fenster zum anderen und zeigt in den Garten. Auf der Wiese vor der Terrasse steht ein Brunnen aus weißem Stein. Eine Ente darauf. Wasser speiend, als sei ihr immer übel.
Den kann man natürlich entfernen, sagt Julia.
Der ist doch schön, sagt die Frau und Julia sagt: Na, umso besser.
Das zweite Haus ist ein kleines Backsteinhaus mit einem Reetdach, das weit hinunter reicht. Der Vorgarten eingefasst von einem weißen Holzzaun, neben dem Eingang eine Birke mit schwarz geflecktem Stamm.
Hier wohnt noch jemand, sagt Julia. Eine Frau, alleinstehend. Sie sollte, sagt sie, während sie klingelt, nicht da sein, aber man weiß ja nie.
Als niemand öffnet, schließt sie die Tür auf. Von der Diele kann man ins Wohnzimmer sehen. Blau-gelb gestreifte Sessel. Ein Porzellanhahn auf der Fensterbank, ein Glastisch, gestützt von einer steinernen Figur. Atlas oder Herkules, denkt Anne. Vielleicht auch keiner der beiden. Die Fenster sind bis zur halben Höhe von Vorhängen verdeckt. Weiße Rüschen, leicht wie Brautschleier. Im Wintergarten stehen Plastikstühle mit bunten Polstern. Auf der Bettwäsche gelbe Sterne und Monde. Wie die Bettwäsche eines Kindes.
Hier müsste man, sagt Julia, einiges machen. Auf jeden Fall streichen. Und vielleicht den Teppich erneuern.
Die Frau gibt dem Mann das Kind, geht ins Bad, das an das Schlafzimmer anschließt, ruft: Eine runde Badewanne! Die Möbel, sagt sie, als sie aus dem Bad kommt, muss man sich halt wegdenken.
Ja, sagt Julia, die sollten Sie auf jeden Fall ignorieren.
Sie holt eine neue Karteikarte hervor, nennt dem Paar die Angaben zum Haus. Das Baujahr, die Wohnfläche, die des Grundstücks. Der Kaufpreis, der höher ist als der vom ersten Haus. Auf der Kommode hat Anne einige Fotografien entdeckt. Schwarzweiß-Bilder in verschnörkelten Rahmen. Ein Hochzeitsfoto, das offenbar die Eltern oder Großeltern zeigt. Eine Frau, das Kinn auf die Hände gestützt, schaut ernst in die Kamera. Das Foto einer dreifarbigen Katze. Es ist Anne plötzlich unangenehm, in diesem Haus zu sein. So nah bei einer Frau, die sie nicht kennt. Und die ihr wehrlos erscheint gegenüber Julias Verachtung.
Sie sehen noch drei andere Häuser an. Jedes Mal nennt Julia die Vorzüge und direkt danach die Nachteile. Große Räume, hell, sagt sie zum Beispiel, aber der Blick aus dem Fenster ist nicht eben berauschend. Oder: Direkt um die Ecke liegt die Grundschule. Dafür ist der Vorgarten etwas klein. Das Kind wird müde, fängt an zu weinen, wie Julia es vorausgesagt hat. Die Mutter nimmt es auf den Arm, streicht ihm über den Rücken, summt leise. Im letzten Haus treffen sie den Besitzer an, einen dünnen Mann mit grauem Bart. Er lässt es sich nicht nehmen, sie selbst herumzuführen. Im Schlafzimmer zieht er die Tagesdecke glatt. Ein Brokatkissen auf dem Bett, an der Wand zwei tönerne Engel, auf jeder Seite einer. In der Küche hängt ein gestickter Bibelspruch: Alle eure Dinge lasset in Liebe geschehen. Ich ziehe nicht gern aus, sagt er. Aber ohne meine Frau ist das Haus zu leer.
Auf dem Weg zum Auto sagt Julia leise zu Anne: Das ist immer schlecht, wenn der Besitzer da ist. Vor allem, wenn er traurig ist.
Auf der Fahrt fragt sie, ob ihnen etwas gefiel. War etwas dabei, was in Frage kommt? Ja, sagt der Mann, das erste und das letzte Haus. Er sieht seine Frau an. Oder? Ja, sagt sie, ich glaube auch.
Ich habe, sagt Julia, noch vier weitere Objekte, die könnten wir uns morgen anschauen. Aber ich kann auch schon mal nachfragen, ob sich bei den beiden Häusern im Preis was machen lässt.
Gut. Die Frau nickt. Machen Sie das.
Das Kind ist in seinem Sitz eingeschlafen. Der Vater nimmt den Sitz vorsichtig heraus, trägt ihn zum Haus. Ruft leise: Auf Wiedersehen. Die Frau gibt Julia und Anne die Hand. Winkt ihnen hinterher, als sie abfahren.
Und?, fragt Julia, und Anne sagt: Es war interessant. Auch seltsam. Interessant und seltsam.
Ja, sagt Julia, genau das ist es.
Sie lacht kurz und dreht das Radio an. Anne sieht in das Auto, das neben ihnen an der Ampel steht. Ein junger Mann sitzt darin, lange braune Locken. Er singt, sieht sie nicht an. Klopft mit den Händen den Takt auf dem Lenkrad. Am Rückspiegel hängt eine Kette aus weißen Steinen oder Perlen. Die hinteren Scheiben des Autos sind so dunkel, dass alles dahinter passieren könnte. Zum Beispiel die Liebe. Oder ein Mord. Vielleicht, denkt Anne, hören wir jetzt das gleiche Lied wie er.
Sie
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