Tony Mendez 01 - Schwärzer als der Tod
los.«
Vince verspürte ein flaues Gefühl im Magen, als er an Annes Worte dachte: … auf der Heimfahrt hatte ich ein wirklich unheimliches Erlebnis mit Frank Farman.
»Das spielt keine Rolle, Frank«, sagte er. »Das ist nichts weiter als ein Missverständnis. Sie haben Ihr Bestes getan. Sie waren Ihrem Sohn ein gutes Vorbild, Frank. Jeder hier weiß das. Also, kommen Sie. Legen Sie die Waffe weg, und
wir setzen uns hin und reden darüber. Ihnen muss doch schon der Arm wehtun.«
»Nein«, sagte Farman, aber dabei lief ihm der Schweiß übers Gesicht, und die Hand, in der er die Waffe hielt, zitterte.
Vince hoffte um Dixons willen, dass der Abzug schwer zu bewegen war.
78
Mendez hatte den Besprechungsraum nur kurz verlassen, um pinkeln zu gehen. Zu viel Mountain Dew. Er ernährte sich praktisch von Koffein. Als er die Toilette wieder verließ, hatte sich die Welt auf einen Schlag verändert.
Jetzt stand er vor dem Monitor in der Teeküche, dankbar dafür, dass das County keine Kosten gescheut und das Gebäude mit einem hochmodernen Sicherheitssystem ausgestattet hatte. Kameras in jedem Raum außer der Toilette.
Farman presste Dixon seine Dienstwaffe an die Schläfe. Vince versuchte, ihn zur Vernunft zu bringen. Frank blieb stur.
Mendez dachte an ihr Gespräch von vorhin über die Möglichkeit, dass Frank Farman der Sekundenklebermörder war. Vince hatte seine Zweifel, aber Mendez hielt es durchaus für möglich.
Wenn man davon ausging, dass der Mörder eine Autoritätsposition innehatte und allgemein Vertrauen genoss, auf wen traf das dann mehr zu als auf einen Mann in Uniform? Er konnte sich außerdem ohne Schwierigkeiten an den Ermittlungen beteiligen. Er konnte sich bei der Verfolgung von Verdächtigen sogar zum Helden stilisieren.
»Mendez.« Trammell steckte den Kopf in die Teeküche. »Wir haben ein Problem.«
»Ja. Ich sehe es gerade.«
»Nein. Draußen. Kommen Sie mit.«
Er warf einen Blick auf den Monitor und zögerte. Was konnte dringlicher sein?
»Im Ernst«, sagte Trammell. »Kommen Sie. Das müssen Sie sich ansehen. Leone wird ihn inzwischen am Reden halten.«
Sie rannten zum Vordereingang und fanden sich in eine Szene aus der Unheimlichen Begegnung mit der Dritten Art versetzt, kaum dass sie das Gebäude verlassen hatten.
Das Gelände wurde vom Suchscheinwerfer eines Hubschraubers in grelles Licht getaucht. Mitten auf dem Rasen stand ein Streifenwagen mit offenen Türen und offenem Kofferraum. Deputys hatten die unmittelbare Umgebung um den Wagen abgesperrt und hielten Kameras und Gaffer zurück.
»Franks Wagen?«, rief Mendez über das Dröhnen des Hubschraubers hinweg.
»Ja.« Trammell führte ihn zum Heck des Wagens mit dem offen stehenden Kofferraumdeckel. »Und Franks Frau.«
Sharon Farman lag tot im Kofferraum. Verprügelt, erwürgt. Augen und Mund zugeklebt.
79
Dennis lag auf der Pritsche, die man in den Raum gestellt hatte. Die Detectives hatten ihm auch einen Fernseher gebracht und Pizza und Limo, aber er hatte keine Lust fernzusehen, und Hunger hatte er auch keinen. Irgendeine hässliche dicke Polizistin sollte auf ihn aufpassen, aber die saß nur da und las und sah ihn kaum an.
Dennis wollte nichts weiter als nach Hause. Miss Navarre
hatte gesagt, dass er nicht nach Hause durfte. Aber was wusste die schon? Sie arbeitete nicht für den Sheriff. Sein Dad arbeitete für den Sheriff. Sein Dad würde ihn hier rausholen.
Aber er hatte seinen Dad nur durch die Glasscheibe in der Tür gesehen. Sein Dad war nicht zu ihm reingekommen, um mit ihm zu reden oder ihn anzuschreien oder so. Er hatte nur einmal kurz durch das Fenster geschaut und war seither nicht mehr aufgetaucht.
Vielleicht würde er nie mehr zurückkommen.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Dennis, wie es wohl sein mochte, zu einer richtigen Familie zu gehören, so eine wie die im Fernsehen. Wie die von Wendy Morgan und Tommy Crane.
Er hatte Tommy Crane von der ersten Minute an gehasst. Tommy Crane hatte alles. Tommy Crane war schlau. Tommy Crane konnte alles. Tommy Crane hatte super Eltern, von denen er alles bekam, was er wollte.
Er hatte Tommy Crane von der ersten Minute an gehasst, aber als er jetzt hier im Büro des Sheriffs auf der Pritsche lag und sich niemand um ihn kümmerte, niemand kam, um nachzusehen, wie es ihm ging, dachte Dennis, dass es echt schön gewesen wäre, heute Nacht Tommy Crane zu sein.
Tommys Ritual vor dem Zubettgehen lief genauso ab wie an jedem Abend in der vergangenen Woche.
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