Top Secret - Der Ausbruch
nenne ich einen echten Wutanfall«, grinste James und dachte insgeheim, dass er John oder Scott über Curtis’ Besuch bei dem berühmten Kinderpsychiater in Philadelphia informieren musste, sobald er Gelegenheit hatte. »Hast du immer noch Depressionen?«
»Nicht mehr so schlimm«, meinte Curtis. »Obwohl es einem hier drinnen schon manchmal echt langweilig wird.«
Den Abend verbrachte James vor Curtis’ kleinem Fernseher mit Stanley Duffs Süßigkeiten. Dessen angeschlagener Bruder war aus dem Krankenhaus zurückgekommen. Raymond sah aus, als ob er in Tränen ausbrechen wollte, als er feststellte, dass Kirch auch alles, was er besaß, aus seinem Spind geräumt hatte. Er hatte nicht mal mehr Unterwäsche zum Wechseln oder ein Kopfkissen.
Als James in der Nacht aufwachte, weil ihm jemand den Hals ins Kissen presste und ihm eine lange Rasierklinge unter die Nase hielt, vermutete er erst, es wäre Raymond Duff, aber da lag er falsch.
»Bist du einer von uns?«
James nahm Körpergeruch, das Aufblitzen von grinsenden Zähnen und die Art von Angst wahr, die einen befällt, wenn man meint, gleich schreckliche Schmerzen zu spüren.
»Bist du einer von uns?«, knurrte Elwood noch einmal.
Curtis und die Skinheads standen lachend um James’ Bett herum.
»Bin ich«, presste James krächzend hervor, da ihm die Hand an seiner Kehle die Luft abschnürte.
Vom Nachbarbett langte Kirch herüber und fuhr James mit einem nassen Pinsel ins Gesicht.
»Du siehst so behaart aus, Rose.«
Elwood hielt die Rasierklinge so dicht an James’ Haut, dass sie fast einschnitt.
»Was soll denn das?«, japste James. »Kommt schon, Leute …«
»Wenn du einer von uns bist«, grinste Elwood, »dann musst du dich von diesem tuntigen Haarschnitt trennen.«
Kirch wedelte ihm mit dem Rasierpinsel vor der Nase herum.
»Dann schneid mir doch die Haare«, stimmte James zu, als Elwood ihn losließ und er sich aufrichten durfte. »Aber kannst du dazu nicht den Elektrorasierer nehmen, den ich Abe gegeben habe?«
Kirch, Curtis und die drei anderen, die sich für dieses Event aus ihren Betten begeben hatten, bogen sich vor Lachen.
»Mit einem Elektrorasierer macht das gar keinen Spaß«, fand Elwood kichernd. »Du hast doch keine Angst, oder?«
»Warum sollte ich Angst vor dir haben?«, entgegnete James und versuchte, so zu klingen, als ob es ihm nicht das Geringste ausmachte, um drei Uhr morgens von einem Irren mit einer Rasierklinge geweckt zu werden.
Kirch kam mit dem Rasierpinsel näher und spritzte ihm lauwarmes Seifenwasser in die Haare. Nach
ein paar Spritzern verlor er die Lust und kippte ihm die Brühe ganz über den Kopf. James verzog das Gesicht, als ihm die Seife in die Augen lief.
»Halt lieber still«, kicherte Elwood.
Er hielt die Rasierklinge an James’ Stirn und zog sie nach oben. Eine seifige blonde Strähne fiel in James’ Schoß. Elwood säbelte hier und da Haare ab, bis James’ neue Frisur eine Furcht erregende Mischung aus kahlen Stellen, wirren Haarbüscheln und einigen blutenden Kratzern von der Rasierklinge abgab.
»Perfekto«, behauptete Elwood und trat zurück wie ein Künstler, der sein Werk betrachtet.
Die Skinheads bogen sich vor Lachen, als sie wieder in ihre Betten gingen. Als alle sich schlafen gelegt hatten, kam Curtis mit einer batteriebetriebenen Haarschneidemaschine an.
»Soll ich das in Ordnung bringen?«
Sie gingen ins Bad, und nachdem sich James mit einem nassen Handtuch die Seife und das Blut vom Kopf gewischt hatte, kniete er sich auf die Fliesen, und Curtis schor ihn ganz kahl.
»Dein Bruder kommt also wirklich nicht wieder?«, fragte Curtis, als er die Haarschneidemaschine am Waschbecken sauber machte.
»Da bei ihm Fluchtgefahr besteht und er Stanley fast das Genick gebrochen hätte, wurde ein Antrag gestellt, Dave wieder als hochgefährlichen Insassen einzustufen, hat mir der Schließer Warren erzählt.
Er wird drüben im Supermax-Block in eine Einzelzelle gesteckt.«
»Dann ist die Flucht wohl abgesagt?«
»Ohne Dave ist es schwer«, gab James leise zu, »aber mein Onkel schlägt meine kleine Schwester halb tot, und ich will hier wirklich raus. Das Problem ist nur, Dave hätte draußen einen Job finden können, aber ich weiß nicht, wie jemand in unserem Alter alleine draußen überleben soll, wenn ihm nicht jemand hilft.«
»Erinnerst du dich daran, was ich über meine Mutter erzählt habe? Das mit dem Verstecken, unter falschem Namen leben und so?«
James nickte.
»Ich weiß
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