Top Secret - Die Mission
»Es ist also reiner Zufall , dass du heute Abend hier hereinspazierst, nachdem Kyle und ich heute Nachmittag eine Einsatzbesprechung hatten?«
»Ich bin gekommen, um mich noch einmal zu entschuldigen, James«, stöhnte Lauren. »Aber Bethany hatte recht, ich hätte mir die Mühe sparen können. Ich meine, ich vermisse es, mit dir zu reden und mit dir zusammen zu sein, aber wenn du mir sowieso kein Wort glaubst, dann kann ich wohl nichts machen …«
»Ich hasse dich nicht«, sagte James. »Es ist nur …«
Wütend, dass ihre Argumente ihm unter die Haut gingen, stand er auf und zeigte auf den Teppich direkt vor seinen Füßen. »Komm her.«
Lauren wusste nicht, ob sie eine Umarmung oder eine Ohrfeige erwarten sollte, aber sie trat vor.
»Du glaubst, du würdest die Leute kennen«, sagte James und legte seiner Schwester schwer die Hände auf die Schultern. »Und ich dachte, ich würde dich kennen.«
Lauren lief es bei James’ düsterem Gesichtsausdruck kalt den Rücken hinunter. Er sah sie nicht direkt an, sondern eher durch sie hindurch. Die Intensität seines Blicks erinnerte sie schmerzhaft daran, wie sehr sie seine Gefühle verletzt hatte.
»Kannst du mir in die Augen sehen und mir sagen, dass Kyle nichts von unserer Besprechung erzählt hat?«
Lauren klang ein wenig eingeschüchtert. »Ich weiß nichts von einer Mission, James. Was ist los? Du machst mir richtig Angst!«
James erkannte, dass er sich wohl ziemlich merkwürdig verhielt und ließ sie los.
»Tut mir leid«, sagte er und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. »Es ist nur ein echt merkwürdiger Zufall. Du sagst besser die Wahrheit.«
Lauren stemmte die Hand in die Hüfte. »Wie oft soll ich es denn noch sagen?«
»Kyle und ich wurden heute Nachmittag von Zara
Asker ins Einsatzvorbereitungsgebäude gerufen«, erklärte James, der sich endlich dazu durchgerungen hatte, seiner Schwester zu vertrauen. »Sieht so aus, als sollten wir in einer Woche oder so auf einen Einsatz gehen, aber wir brauchen dafür noch einen weiteren Agenten. Jemand jüngeren, vorzugsweise ein Mädchen. Du warst offensichtlich die erste Wahl, aber ich habe Zara gesagt, dass ich nichts davon wissen will.«
Lauren schüttelte den Kopf. »Na vielen Dank.«
»Zara war ebenfalls der Meinung, dass es keinen Sinn hat, uns gemeinsam auf einen Einsatz zu schicken, wenn wir uns nicht vertragen. Sie hat mich und Kyle gebeten, uns zu überlegen, welches andere Mädchen in deinem Alter in Frage käme, und wir haben über Bethany, Victoria, Melanie, Cloe und die anderen Mädels aus deiner Truppe nachgedacht … Nur irgendwie habe ich festgestellt, dass ich viel lieber mit dir als mit einer von den anderen auf einen Einsatz gehen würde.«
Lauren fühlte sich geschmeichelt, versuchte aber, es nicht zu zeigen.
»Kyle hat die ganze Zeit versucht, mich zu überreden, mich mit dir zu versöhnen«, fuhr James fort. »Deshalb habe ich so komisch reagiert, als du plötzlich in meinem Zimmer aufgetaucht bist.«
»Klar«, meinte Lauren, bohrte verlegen mit der Schuhspitze im Teppich und sah zu Boden. »Also …«
»Also, morgen um elf findet eine weitere Einsatzbesprechung
statt. Und wenn du mit uns auf die Mission gehen willst, dann ist das für mich in Ordnung.«
7
Am nächsten Morgen stießen James und Lauren nach der zweiten Schulstunde auf dem Weg zum Einsatzvorbereitungsgebäude aufeinander. Sie redeten miteinander, ohne wirklich etwas zu sagen, und wogen sorgfältig jedes Wort ab, um die frischen Wunden nicht wieder aufzureißen.
Wie üblich war das hochmoderne Kontrollsystem, das den Zutritt zum Gebäude über Netzhauterkennung regelte, außer Betrieb. Ein an die Tür geklebter Zettel verwies auf eine sehr viel primitivere Form der Zutrittsbeschränkung:
JEDES KIND,
DAS HIER NICHTS ZU SUCHEN HAT, WIRD,
WENN WIR ES ERWISCHEN,
STRAFRUNDEN UM DEN PARCOURS LAUFEN,
BIS ES KOTZT.
Ein sanft geschwungener Gang führte nach fünfzig Metern zu Zaras geräumigem Büro. Sie war Mitte dreißig, wirkte jedoch älter und hatte etwas Mütterliches
an sich, selbst wenn sie hinter einem großen Schreibtisch saß, der eindeutig jemandem von Bedeutung gehörte.
In der Ecke eines Wildledersofas lümmelte sich der sechzehnjährige Kyle Blueman, die Füße auf dem Glastisch vor ihm. Er las in vanillefarbenen Ordnern mit polizeilichen Überwachungsberichten. Kyle war bisher für sein Alter immer klein gewesen, doch ein Wachstumsschub, neuerdings blondierte Haare und ein Bartflaum
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