TOP SECRET - Die Sekte
Vorhänge waren zugezogen und sie hatte offensichtlich geweint.
»Hallo«, grüßte James und versuchte, freundlich zu klingen, als er seinen Wagen ins Zimmer schob.
»Was bist du denn? Ein verdammter Pfadfinder?«, fragte die alte Dame brüsk.
James erklärte, wie Eve es ihm beigebracht hatte, dass er das Altersheim ehrenamtlich belieferte und dass der Erlös für die Entwicklungshilfe in der Dritten Welt bestimmt war. Eve hatte sich nicht sonderlich klar ausgedrückt, was für Projekte damit genau gefördert wurden, aber in Miriam Longfords Buch hatte gestanden, dass der überwiegende Teil des Geldes, das die Survivors für wohltätige Zwecke einnahmen, in die Verwaltung floss und in den Schatzkammern der Organisation landete.
»Hast du eine Mutter?«, fragte Emily scharf.
James dachte an Abigail und nickte, aber er zuckte bei dem Gedanken, dass seine eigene Mutter tot war, zusammen.
»Wenn sie alt und gebrechlich wird, wirst du dann ihr Haus verkaufen und sie in ein Heim wie dieses bringen?«
James lächelte. »Sie haben vor Ihrer Tür eine schöne große Terrasse und einen Garten. Und die Leute hier scheinen alle sehr nett zu sein.«
»Es riecht nach alten Leuten und Pisse«, gab Emily zurück.
James lachte. »So schlimm stinkt es gar nicht.«
»Wenn sie dich heilen können, schicken sie dich ins Krankenhaus. Wenn nicht, schickt man dich hierher zum Sterben.«
Emily war dünn und sah so aus, als ob sie kaum die Kraft hätte, aufzustehen, dennoch war James eingeschüchtert, als er sich mit seinem Wagen zur Tür zurückzog. »Nun, ich hoffe, Sie leben sich hier ein. Ich wette, Sie gewöhnen sich daran.«
»Warte«, verlangte Emily. »Ich nehme einen Riegel Türkischen Honig. Ich esse zwar nicht mehr so viel, aber ich werde wohl ein wenig davon knabbern.«
»Das macht drei Dollar.«
Emily blickte ihn schockiert an.
»Was soll’s«, meinte sie dann mit einem Grinsen und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Sollen es lieber ein paar Afrikaner haben als mein missratener Sohn.«
James lächelte, als Emily ihm drei Ein-Dollar-Münzen gab, aber er fühlte sich schrecklich, als er seinen Wagen wieder hinausschob und an die letzte Tür klopfte. Hier erinnerte ihn alles daran, dass auch er einmal alt werden und sterben würde.
17
Zehn Tage nach ihrem ersten Abend bei den Survivors verbrachten Abigail und die drei Cherubs ihre meiste Freizeit entweder mit Besuchen im Gemeindezentrum oder waren in Aktivitäten der Survivors eingebunden.
Abigail begann, was Elliot als »eine persönliche Reise in den Ozean der Liebe« bezeichnete. Tagsüber hörte sie sich die CDs der Survivors an und sah die Videos, und abends fuhr sie zum Gemeindezentrum, um entweder an den Treffen der alleinerziehenden Eltern teilzunehmen oder Einzelberatungsstunden bei Elliot zu nehmen. Außerdem engagierte sie sich als freiwillige Helferin bei Spendenaktionen und sammelte in der Innenstadt Geld. Falls sie gelegentlich einen Abend nicht im Gemeindezentrum war, rief Elliot sie an, um sich lange und ausführlich mit ihr zu unterhalten, und einmal stattete er ihnen sogar einen Überraschungsbesuch ab.
Dana spielte weiter ihre Rolle als schwierige Neuanwerbung. Ihr unglücklicher siebzehnjähriger Begleiter wurde durch eine Frau im mittleren Alter ersetzt, die etwas
hartgesottener schien. Elliot schlug vor, dass Dana an einem intensiven Beratungsprogramm teilnahm, in dem es um »Probleme mit Emotionen und Feindseligkeit« ging. Abigail willigte ein und stellte einen Scheck über siebenhundertachtzig Dollar für die Therapie aus.
Durch die Sitzungen sollte Dana zufriedener mit sich selbst werden, gleichzeitig versuchte man ganz subtil, ihr den Glauben der Survivors und die angeblichen Vorteile des Lebens bei ihnen nahezubringen. Ihre Skepsis war ein Trick, um die Integration der Familie Prince in die Sekte glaubhafter zu machen. Doch sie sollte die Mission nicht wirklich behindern, daher ließ Dana es zu, dass ihre Beraterin sie schließlich überzeugte. Eine Woche nach den anderen erhielt sie ihr Lederhalsband.
Lauren schloss im Gemeindezentrum viele Freundschaften mit Gleichaltrigen. Die jüngeren Sektenmitglieder mussten die manipulativen Fähigkeiten der älteren erst noch erlernen, daher hatte es Lauren relativ einfach. Während Abigail und Dana in ihren Beratungsstunden waren, streifte Lauren durch das ehemalige Einkaufszentrum.
Normalerweise traf sie bei einem Besuch ihre Freunde in der Sporthalle oder in den Wohnquartieren
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