TOP SECRET - Die Sekte
das Gefühl, das man hat, wenn man zu einem guten Song getanzt oder irre viele Punkte bei einem Playstation-Spiel eingeheimst hat.
Während sie den Hauptgang des Einkaufszentrums entlanggingen, dachte James darüber nach, wie leicht es einem erfahrenen Sektenmitglied wie Ween fallen musste, ein Zimmer voller Menschen emotional zu manipulieren.
»Magst du die Gottesdienste?«, fragte James.
Paul lächelte. »Ja, man fühlt sich so lebendig, findest du nicht?«
James nickte und sah dann auf seinen Stundenplan. »Und was bedeutet jetzt ›Arbeitseinteilung‹?«, erkundigte er sich.
Urplötzlich wurde Pauls seliger Gesichtsausdruck nach dem Gottesdienst trüber. »Das ist das Einzige, was ich an den Wochenenden nicht mag.«
»Was genau müssen wir denn tun?«
Paul lächelte. »Lass es mich mal so sagen: Nach vier Stunden als Picker willst du keine Survivors-Bücher oder -DVDs mehr sehen.«
19
Das Warenlager der Survivors befand sich direkt gegenüber vom Einkaufszentrum. Es war ein riesiger, einstöckiger Kastenbau aus geriffeltem Aluminium. James und Paul ließen das gleißende Sonnenlicht hinter sich und betraten den Bau durch eine Doppeltür. Sie gelangten in einen Eingangsbereich, der düster wirkte, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten. Hinter einem Tresen aus Sperrholz saß ein Vorarbeiter mit Schweißflecken unter den Armen.
»Hi Joe«, begrüßte ihn Paul. »Das ist James, der Neue. Wir brauchen Stationen nebeneinander, damit ich ihm zeigen kann, wie die Arbeit geht.«
Joe langte unter den Tresen und zog zwei Plastikscheiben mit Nummern hervor, wie man sie bekommt, wenn man in einem Laden Klamotten anprobiert.
»Du wirst Wasser brauchen, James«, bemerkte Paul und wies auf ein Drahtgestell mit Plastikflaschen.
Beide Jungen schnappten sich eine Flasche und gingen durch eine weitere Doppeltür in das eigentliche Warenlager.
Das Erste, was James auffiel, war die Hitze. Es gab
keine Klimaanlage. Draußen herrschten fünfunddreißig Grad, drinnen war es noch heißer. Vor ihnen erhoben sich lange Reihen fünf Meter hoher Regale, gefüllt mit Videos, CDs, DVDs und Büchern. Manche Produkte waren lose, manche kunstvoll zusammengepackt, wie James es am Nachmittag zuvor bei Emily gesehen hatte.
Nachdem sie hundert Meter zwischen Regalen hindurchgelaufen waren, erreichten die Jungen eine Front von zwanzig Packstationen. Sie gingen zu den Stationen achtzehn und neunzehn, und Paul zeigte James, was er zu tun hatte. An jeder Station gab es einen Computer; hier wurden die Bestellungen an Survivor-Videos und -Waren ausgedruckt. Das erste Blatt bestand aus einem Etikett und einer Rechnung für den Kunden, der zweite Bogen war für den Picker. Dessen Aufgabe war es, aus den Regalreihen die entsprechenden Produkte zusammenzusuchen.
Hatte man alles Bestellte beisammen, suchte man sich aus einem Stapel gefalteter Kartons einen in der passenden Größe, legte die Sachen hinein und stellte ihn unter ein dickes Plastikrohr, das zur Decke führte. Dann musste man ein Pedal am Boden drücken, und aus dem Rohr kam ein Stoß Styroporflocken, mit denen der Karton aufgefüllt wurde, damit beim Transport nichts kaputtging. Anschließend wurde die Rechnung beigelegt, das Adressetikett aufgeklebt und der Karton mit braunem Paketklebeband oder Paketschnur verschlossen.
Nachdem James zugesehen hatte, wie Paul den ersten
Auftrag abwickelte, und nachdem er selbst ein paarmal etwas zu begeistert auf das Pedal getreten war, woraufhin die Styroporflocken überall herumwirbelten, hatte er seine Aufgabe begriffen. Der Computer maß die Zeit, und über dem Arbeitsplatz blinkte ein rotes Licht auf, wenn man zu langsam war.
In den nächsten vier Stunden rannte James hektisch im Lagerhaus herum und suchte die Bestellungen für Joel Regans Geschäft zusammen. Die Artikel reichten von CDs wie Überleben bei der Arbeit. Die Motivationsreden von Joel Regan für neunzehn fünfundneunzig über Handbücher für Verkaufsautomaten bis zum schwergewichtigen Band Der Bau der Arche für dreihundertneunundneunzig Dollar. Jeder dieser Hochglanzklötze enthielt ein Röhrchen mit heiliger Erde vom Baugrund der Arche, die von Joel Regan gesegnet worden war.
Am besten gingen die Kurse zur Mitarbeitermotivation, die von einer Gesellschaft der Survivors an große Unternehmen verkauft wurden. Dem Klappentext nach wurden sie von »Hunderten der größten Unternehmen in Amerika« eingesetzt. Diese riesigen Bestellungen entmutigten James, wenn sie
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