Topas

Shuey
Mendoza schliefen nicht. Sie hockten in den Felsen der
Steilküste, die Viriel umgab. In der ersten Nacht war der Mond
hinter Wolken verborgen und ein Unwetter wühlte die See auf.
Bei Tag schliefen die Brüder abwechselnd und benutzten die
Telefoto-Ausrüstung, die Juanita de Cordoba ihnen gebracht
hatte.
    In der zweiten Nacht
ihrer Wache beruhigte sich die See, und es war mondhell. Shuey
Mendoza kroch vorsichtig aus dem Versteck und kletterte den
zerklüfteten Steilhang hinab zum Wasser. Abwechselnd tauchend
und mit leisen Bewegungen schwimmend erreichte er die Pfähle
der Pier und kroch ungesehen darunter. Er kannte jeden Winkel und
jedes Loch. Als der Mond hinter einer Wolke verschwand, kroch er
auf die Pier und versteckte sich in einem Stapel
Bauholz.
    Carlos wartete bis
zwei Stunden vor Tagesanbruch und schwamm dann eine kurze Strecke
bis zu dem alten Wrack eines Schiffes, das nur hundert Meter neben
der Hafeneinfahrt auf die Felsen aufgelaufen war.
    Beide hatten ihre
Kameras, in Plastik verpackt, mitgenommen und machten in kurzen
Zeitabständen Aufnahmen von der Ladung, die während der
Nachtstunden gelöscht worden war und jetzt auf dem Kai stand.
So hielten sie vierundzwanzig Stunden aus, und in der dritten Nacht
schwammen sie zurück zur Steilküste.

 
    36
    Am folgenden Tag
kaufte Rosa Mateos, die Frau des Apothekers von Matanzas, dem alten
Händler vor der Friedhofsmauer einen Blumenstrauß ab.
Sie zupfte ihr Schultertuch zurecht und betrat den alten Friedhof.
Der nasse Boden und das Laub gaben unter ihren Füßen
nach. Sie sah sich um. Der Friedhof war menschenleer.
    Rosa Mateos ging zur
dritten Grabsteinreihe im neuen Teil bei dem Mangohain und
zählte still für sich die Gräber. Zehn - elf -
zwölf - dreizehn - vierzehn. Sie blieb stehen, kniete nieder
und legte die Blumen neben den Sockel des Steins.
    HIER LIEGT IGNACIO
GOMEZ
    GESTORBEN
1947
    BETRAUERT VON SEINER
EHEFRAU UND SEINEN SÖHNEN
    GOTT SEI SEINER SEELE
GNÄDIG!
    Rosa klopfte die Erde
um den Stein, bis sie einen Riß im Sockel spürte. Sie
zog ein loses Stück heraus, und ihre Finger fanden
schließlich, wonach sie suchte. Sie zog einen Plastikbeutel
heraus, der die Filme der Mendoza-Brüder enthielt.
    Sie schob das
Päckchen schnell in ihr Schultertuch, setzte das
Steinstück wieder ein, betete, bekreuzigte sich und
verließ den Friedhof.
    An diesem Abend trat
ihr Mann, Humberto Mateos, der Apotheker von Matanzas, seine
wöchentliche Reise nach Havanna an, um die Medikamente zu
besorgen, die für einige Patienten gebraucht wurden. So
verlangte es die Bürokratie, seit Castro die Apotheken
verstaatlicht hatte. Bei Amelia Valencia, einer Pharmazeutin bei
der Staatlichen Pharmazie Nr. 15 in Havanna, lieferte er seine
Bestellungen ab - zusammen mit den Filmen.
    Während der
Nachmittagspause ging Amelia Valencia auf den alten Markt von
Havanna, wo sie oft während ihrer Freizeit einkaufte. Zuerst
ging sie zum Sandalenmacher und unternahm einen vergeblichen
Versuch, ein Paar anständige Sandalen zu kaufen. Seit der
Revolution waren seine Erzeugnisse miserabel geworden. Dann ging
sie zum Stand des Geflügelhändlers Jesus Morelos und
übergab ihm die Filme.
    Jesus Morelos steckte
das Päckchen in ein Huhn, nähte es zu und legte es
beiseite.
    Später an diesem
Nachmittag besuchte Maggie, Juanita de Cordobas farbige
Köchin, ebenfalls den Stand von Jesus Morelos. So gelangte das
Huhn samt Inhalt zu Juanita de Cordoba.

 
    37
    Dies waren die
längsten und aufregendsten Tage in Andres Leben. Für
einen Geheimdienstchef gibt es keine Erholungspausen von dem
immerwährenden Druck. Es gibt für ihn keine
Faustkämpfe, keine Schießereien, kein Klettern über
Balkone, keine Entführungen von Jungfrauen, keine Akrobatik,
keine Karateschläge, keine elektronischen Wunderapparate. Der
ständige Druck erforderte stillen Mut und die
gehirnauslaugende Arbeit, einen fähigen und gefährlichen
Gegner mit jedem Gedanken und allen Manövern
auszuspielen.             
    Als die bewegende
Kraft hinter dem Unternehmen war Andre dazu verurteilt, in
quälender Stille zu warten, während seine Agenten seine
Anordnungen ausführten. Die meisten von ihnen waren keine
Professionellen, sondern eben anständige Patrioten, die bereit
waren, auf sein Kommando in den Tod zu gehen - und diese
Verantwortung drückte ihn nieder. Doch Andre konnte die
inneren Wunden verbergen und in der Öffentlichkeit seine
Spannung überspielen.
    Nur seine Geliebte,
Juanita de