Topas
früheren
Zeiten hatte es die ganze Nacht über keine Ruhe gegeben. Rauhe
Späße, Gelächter, Huren, Schlägereien. Aber
seit der Revolution waren die Straßen gleich nach Einbruch
der Dunkelheit leer und tot.
Im Schatten der
Arkaden schlängelte sich Arnaldo durch das Labyrinth der
Straßen und Gassen, an schlafenden Hunden und schreienden
Katzen vorbei, und näherte sich dem Motorengeräusch,
Sogar als die Straßen unter der ungewöhnlichen Last zu
erzittern begannen, zeigte sich niemand neugierig. Abgesehen von
einigen armseligen Spelunken blieb Havanna dunkel.
NO PASEO! warnte ihn
ein Schild. DIESE STRASSE IST VON MITTERNACHT BIS SONNENAUFGANG
GESPERRT!
Am Ende der Arkaden
spähte Arnaldo um die Ecke und überlegte, ob er
weitergehen sollte. Es waren keine Scheinwerfer zu sehen, aber die
Kolonne konnte nur noch einige Häuserblocks entfernt
sein.
Auf der anderen Seite
der verdunkelten Straße sah er die Holzbude eines ehemaligen
Lotteriestandes. Mit einigen Sätzen überquerte er die
Straße und kroch unter den Verkaufstisch. Dort saß er
zusammengekauert und versuchte seine keuchenden Lungen zu
beruhigen. Er sah sich in seiner engen Behausung um. Der Stand war
verfallen. Mit dem Taschenmesser drückte er zwei Bretter so
weit auseinander, daß er durch den Spalt die Straße
sehen konnte. Eine Gruppe von Motorrädern war schon ganz nahe.
Dahinter kamen Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten, die die
Straße nach Bummlern und Neugierigen absuchten.
Arnaldo rollte sich
angstvoll zusammen wie ein Igel und murmelte Gebete, während
das Dröhnen immer lauter wurde. Er hob sein
schweißnasses Gesicht und riskierte einen Blick. Eine riesige
Zugmaschine, das größte Fahrzeug, daß er je
gesehen hatte, zog einen sechsachsigen Anhänger. Auf jede
Achse kamen acht Räder. In seiner Erregung versuchte er sich
an Juanitas Instruktionen zu erinnern. Achte auf die Reifen! Sieh
dir die Reifen an!
Ja! Sieh nur! Sie
waren halb zusammengedrückt von der ungeheuren Last. Der
große Zylinder lag auf dem Anhänger. Er war zwei Arkaden
lang und mit einer Plane zugedeckt, und während er sich
langsam vorwärts bewegte, drückten die Reifen Spuren in
die Straße.
Der Schwanz war nicht
zugedeckt. Arnaldo versuchte, sich seine Größe und
Gestalt genau einzuprägen. Aber er konnte ihn schon bald nicht
mehr sehen. Die Kolonne fuhr vorbei; ein Dutzend Panzerwagen und
ein offener Lastwagen mit russischen Soldaten folgten dem
Raketentransporter. Er wartete auf vollkommene Ruhe, aber
vergebens, denn sein Atem und sein Herzschlag waren hörbar.
Schließlich gerieten die Fahrzeuge außer
Hörweite.
Er war drauf und dran,
sein Versteck zu verlassen, zögerte aber noch. Sicher
würden G-2-Männer die Gegend überwachen. Der
bloße Gedanke an das Grüne Haus machte ihn krank. Dort
war sein Bruder totgeprügelt worden. Die Lotterieeinnehmerbude
schien der sicherste Ort zu sein. Sich hinlegen und bis
Tagesanbruch hierbleiben. Anita würde zwar vor Angst fast
umkommen, aber es war das beste so.
In den alten Zeiten,
vor der Revolution, war es nichts Besonderes gewesen, auf der
Straße schlafende Betrunkene zu finden. Aber an diesem Morgen wurde
Arnaldo von zwei Milizsoldaten entdeckt, unsanft auf die Beine
gestellt und kräftig geschüttelt.
Er spielte einen Mann
mit einem schweren Kater und grinste seine Entdecker verlegen an.
»Ich bin ein Medizinstudent, Genossen. Bitte laßt mich
los, ich muß mich etwas zurechtmachen und zur
Universität gehen.«
»Betrunkene
schädigen das Ansehen der Revolution. Sie gehen mit zur
Polizei. Die werden Sie schon nüchtern machen. Pancho, ruf den
Wagen!«
»Ich bitte Sie,
Senores. Wenn Sie mich nicht laufen lassen, fliege ich von der
Universität.« Arnaldo fing an zu weinen, und nicht alle
seine Tränen waren geheuchelt.
»Wer braucht
Ärzte wie Sie in Kuba?« fragte der Milizmann
böse.
»Laß das
dumme Schwein gehen!« sagte der zweite. »Wer will all
die verdammten Berichtsformulare
ausfüllen?«
»Nein! Ein
Medizinstudent darf sich nicht wie ein besoffenes Schwein
benehmen.«
»Also
meinetwegen. Ich rufe den Wagen.«
Plötzlich
erschien Anita. Sie ging auf Arnaldo zu, schlug ihm die Handtasche
um den Kopf und trat ihn gegen die Schienbeine.
»Du Hund!«
kreischte sie.
Eine belustigte Menge
versammelte sich.
»Du
läßt mich sitzen, läufst zu diesem anderen Weib und
besäufst dich! Lügner! Hund!« Sie packte ihn am Ohr
und riß ihn den Milizsoldaten buchstäblich
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