Topas
Es gab ein
intensives Sportprogramm und Schachunterricht.
»Dies, meine
Herren, war das erstemal, daß ich etwas über den Westen
erfuhr. Ich mußte westliche Literatur lesen und mich mit
westlicher Philosophie und Religion beschäftigen. Neben
allgemeiner Geschichte studierten wir jedes westliche Land sehr
intensiv, sein politisches System und vor allem das Leben und die
Gewohnheiten der führenden Männer. Wir wußten,
welche Reaktion wir in jeder Angelegenheit erwarten konnten. Und
hauptsächlich beschäftigten wir uns mit ihren schwachen
Punkten.«
Es war sechs Uhr; das
Glockenspiel der Kapelle von Bethesda spielte den Choral Rock of
Ages. Sie
standen auf und ordneten ihre Notizblätter. Die vier
ININ-Männer hatten Respekt vor Boris Kuznetow bekommen. Er
hatte ihnen einen Einblick in die Gründlichkeit,
Tüchtigkeit und Opferbereitschaft des Feindes
vermittelt.
Boris lächelte.
»Ich freue mich jeden Abend darauf, Olga und Tamara zu sehen.
Ihr Amerikanisierungsprogramm hat mir zwei neue schöne Frauen
geschenkt.«
Die Tonbänder
wurden in einem Diplomatenkoffer eingeschlossen. Der Raum wurde
gründlich nach losen Blättern abgesucht. Nicht
benötigte Notizen wurden in einen Zerreißwolf geworfen
und in Millionen Schnitzel zerhackt und durchgemischt, so daß
sie nie gelesen werden konnten. Die vier ININ-Männer
schüttelten Boris die Hand.
»Einen
schönen Sonntag!« sagte Boris.
Sie gingen, und Boris
wurde hinausgerollt. Der Raum wurde versiegelt.
40
Seit Andres Ankunft
auf Kuba waren drei Wochen vergangen. Maggie, die Köchin von
Juanita de Cordoba, war schon oft zum Stand von Jesus Morelos
geschickt worden und hatte manches Huhn mitgebracht, in das eine
Nachricht eingenäht war. Jede neue Nachricht hatte einen
weiteren Hinweis darauf enthalten, daß die Sowjets Raketen
ins Land brachten. Doch der Schlußstein eines wirklichen
Augenzeugenberichts fehlte bis jetzt.
Die vier sowjetischen
Schiffe liefen aus Viriel aus und wurden von vier anderen
abgelöst. Andre wußte, daß die Raketen den Hafen
von Viriel bald verlassen würden, um die Reise zur Finca San
Jose anzutreten. Er richtete seine Gedanken immer mehr auf einen
Umstand, der nach einem schweren Fehler der Kubaner und der Sowjets
aussah.
Bei der Festlegung der
Route zur Finca San Jose gab es keine Wahl. Die Raketentransporter
waren gezwungen, von Viriel nach Havanna zu fahren, und zwar durch
die Außenbezirke der Stadt; von dort ging es dann auf der
Flughafenstraße weiter nach Süden. Die Straße nach
Havanna verlief zwischen dem Castillo del Morro und der Cabana,
führte dann durch einen Tunnel unter dem Hafen hindurch und
mündete auf der Stadtseite in die Küstenstraße ein,
die Calzada del Malecon.
Nach Andres
Berechnungen waren die Raketen vermutlich zu groß für
den Tunnel. Diese Fehlkalkulation würde die Transporter
zwingen, eine Nebenstraße nach Havanna zu benutzen, die
mitten in die alte Innenstadt führte. Hier mußten die
Raketen durch ein Labyrinth von engen Nebenstraßen gefahren
werden. Wenn Andres Schätzungen stimmten, waren die Russen
wahrscheinlich gezwungen, ihre Geheimfracht direkt unter ihrer Nase
vorbeizufahren.
Außer Jesus
Morelos wohnten noch mehrere Freunde von Juanita de Cordoba in der
Innenstadt. Sie sagte ihnen, wonach sie Ausschau halten sollten,
und trug ihnen auf, nur mit einem Auge zu schlafen.
Von Viriel kam
Nachricht, daß die Fracht den Hafen unter schwerer Bewachung
in Richtung Havanna verlassen habe.
Der junge
Medizinstudent Arnaldo Valdez wohnte bei seinen Eltern im Stadtteil
La Lisa, aber nicht selten verbrachte er die Nächte bei Anita,
seiner Liebsten, die in der Innenstadt, in der Nähe der
Avenida de Aqua Dulce, eine kleine Wohnung hatte. Tagsüber war
auf den Straßen in der Nähe ihrer Wohnung eine
merkwürdige Geschäftigkeit zu beobachten gewesen. Anita
und Arnaldo sprachen darüber, als er am Abend zu ihr kam, und
sie nahmen an, daß es sich um die Absicherung einer Strecke
handelte.
Nach Mitternacht, als
Anita schon schlief und Arnaldo am Tisch in ihrem Schlafzimmer
arbeitete, hörte er in der Ferne
Motorengeräusch.
Als er sich sein Hemd
zuknöpfte, erwachte Anita.
»Um Gottes
willen, Arnaldo«, flehte sie angstvoll, »geh nicht
hinaus auf die Straße!«
»Ich muß.
Du kennst unsere Anweisungen.«
»Aber ich habe
Angst.«
»Pssst. Es wird
schon gutgehen.«
Er ließ sie
verstört auf dem Treppenabsatz stehen, warf ihr eine
Kußhand zu und ging hinaus auf die Straße.
In
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