Topas
lebt man nicht
üppig.«
»Fängt dann
das Künstlerleben an?«
»Solange Michele
mitmacht, werde ich's versuchen.«
»Aber Sie kennen
sich erst so kurze Zeit.«
»Michele
erreicht etwas, was sonst niemand bei mir erreicht. Sie bringt mich
zum Lachen. Wenn ich ins Zimmer komme, sieht sie mich auf eine ganz
bestimmte Art an, immer lächelt sie, und ich habe das Gefühl, sie ist
glücklich, daß es mich gibt. Natürlich habe ich
genug Mädchen vor ihr gehabt, doch obwohl Michele noch sehr
jung ist, ist sie weiblicher als alle, die ich kenne. Sie zieht
sich an wie eine Frau, sieht aus wie eine Frau, riecht wie eine
Frau. Sie ist eine hundertprozentige Frau, wie ihre
Mutter.«
Michele kam herein,
mit einer Reisetasche. Sie wollten in die Nähe von Dieppe ans
Meer fahren. Aller Wahrscheinlichkeit nach war das Wetter am Kanal
zu schlecht, um zu baden oder sich in die Sonne zu legen, aber sie
hatten ein hübsches Wochenendhaus mit Kamin und würden
dann eben lange, gefühlvolle Spaziergänge am Strand
machen, Musik hören und sich unterhalten. Anscheinend konnten
sie sich endlos unterhalten. Francois und Michele lächelten
einander zu.
»Verzeih,
daß ich dich warten ließ.«
»Wir wären
besser schon unterwegs, um vor dem Hauptverkehr aus Paris
herauszukommen.«
»Verlebt ein
schönes Wochenende. Sonntags abend erwarte ich euch
zurück.«
Francois versprach
Nicole, mit seinem Sportwagen nicht leichtsinnig durch die Gegend
zu rasen, und verabschiedete sich.
»Ich lasse dich
so ungern allein, Mama.«
»Unsinn.«
»Warum
fährst du nicht nach Montrichard?«
»An diesem
Wochenende habe ich keine besondere Lust, Großpapa Devereaux
zu sehen. Und nun ab mit dir, laß deinen jungen Mann nicht
warten.«
Sie tauschten zwei
Wangenküsse. An der Tür drehte sich Michele noch einmal
um. »Ist er nicht wunderbar - oder bin ich
verrückt?«
»Ja, er ist
wunderbar, und mit ihm wirst du ein Leben haben« - Nicole
stockte, ehe sie fortfuhr - »das einsam und quälend
ist.«
»Nicht, Mama.
Ich bin so glücklich.«
Nicole sah den beiden
durchs Fenster nach und beobachtete, wie sie davonfuhren - in eine
Welt, die sie nun ganz für sich allein erschaffen konnten.
Eine Weile würden sie jene andere Welt, die sie bald
verschlingen und ihre Seligkeit zerstören würde,
vergessen.
Nervös begann sie
auf und ab zu gehen, im Mund eine Zigarette, in der Hand ein Glas
Likör. Vor dem Plattenspieler blieb sie stehen und las die
Aufschriften der Plattenalben. Irgendwie erinnerte sie in diesen
Tagen schon der kleinste Hinweis auf Musik an Andre.
Sie warf einen Blick
auf das Telefon. Sollte sie eine Freundin anrufen, um mit ihr zu
Mittag zu essen und ein wenig zu plaudern? Aber diese Art
Zeitverschwendung war ihr innerhalb weniger Wochen über
geworden.
Abendessen und
Theater? Von ihren vielen Freunden in Paris wurden sie ständig
dazu eingeladen. Sie beide! Nicole war jetzt das
fünfte Rad am Wagen, und die Einladungen beruhten auf dem
Mitleid ihrer Freunde. Dem würde sie sich nicht mehr
aussetzen.
Sie war eingeschlossen
in die Wände ihrer Einsamkeit.
Ein gutes Buch? Ach,
es gibt ja keine guten Bücher mehr.
Einsamkeit war eine
Qual. Es treibt einen in zweitklassige Gesellschaft, man setzt sich
zu irgendeinem langweiligen Menschen, nur um dem Alleinsein zu
entrinnen.
Aber der Angst, die
kommt, wenn man schließlich das Licht löschen muß,
und der Leere beim Erwachen aus einem unruhigen Schlaf, wenn man
sich allein in seinem Bett wiederfindet - man entgeht ihnen
nicht.
Die Leere ist immer
da, selbst in einer Menschenmenge.
Sie zündete sich
eine Zigarette an und versuchte, eine Illustrierte
durchzublättern. Das Heft wanderte in den Papierkorb. Nicole
hatte gehofft, durch die Trennung von ihrem Mann zu einem
Entschluß zu kommen, aber diese Hoffnung hatte sich nicht
erfüllt. Die Dinge waren verworrener denn je. Als sie und
Andre noch jung waren, hatte sie geglaubt, daß er ohne sie
nicht leben könne. Nun erkannte sie jeden Tag deutlicher,
daß genau das Gegenteil der Fall war. Er würde seine
Arbeit fortsetzen … vielleicht ein bißchen langsamer
und müder, aber er würde als lebendiges menschliches
Wesen
weiterexistieren.
Nicole war nur noch
ein lebloser, Zigaretten rauchender Stein, völlig verloren in
ihren Schwierigkeiten und in ihrem Elend.
Das Klingeln des
Telefons hatte einen glückverheißenden Klang.
»Hallo.«
»Nicole, mein
Schatz, hier ist Jacques.«
Es war Granville, der
älteste
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