Topchter der Köingin Tess 1
einem weiteren Fremden in Schwarz und Grün. Vater blickte auf und entdeckte mich, weil die beiden Wachen die Köpfe nach mir wandten, mich aber dann als harmlos abtaten. Er runzelte die Stirn und erhob sich halb, überspielte die Bewegung jedoch dadurch, dass er sich bequemer zurechtsetzte. »Geh weg«, formte er mit den Lippen und lenkte zugleich Mutter und den jungen Mann, der neben ihr stand, damit ab, dass er in den Papieren auf dem Tisch herumwühlte.
Ich zog rebellisch die Brauen zusammen. Ich würde ja gehen, aber wie schnell ich gehorchen musste, war eine Frage der Auslegung. Geduckt, die Röcke fest an mich gerafft, musterte ich nun Prinz Garrett.
Wie versprochen, sah er sehr gut aus, und neben meinem gedrungenen – man könnte auch sagen, rundlichen – Vater machte er eine besonders gute Figur. Ich schätzte, dass er ein paar Fingerbreit größer sein musste als ich. Sein Haar war glatt und hell, und er trug es kurz geschnitten. Angenehm überrascht zog ich die Augenbrauen hoch, als ich sein glatt rasiertes Gesicht betrachtete. Ich mochte gepflegte Männer. Sommersprossen auf seiner Nase ließen ihn jünger wirken.
Er griff nach einer Landkarte, und der schwarze Stoff seiner Uniform straffte sich um die Schultern. Mir wurde ganz warm davon, ihn nur anzusehen. Seine Aufmachung war nicht protzig – er deutete seinen Reichtum durch den Schnitt des guten Stoffes an, statt mit Medaillen und Edelsteinen davon abzulenken. Er lächelte über eine Bemerkung meiner Mutter, und mir fielen seine ebenmäßigen, geraden Zähne auf. Mein Blick glitt über die Vorderseite seiner Hose, als er sich umwandte, um ein Papier von der Bassinmauer zu holen, und meine Lippen verzogen sich zu einem heimlichen Lächeln. Heather hatte recht.
Ich rieb mir den Finger an der Stelle, wo die Zigeunerin mich geschnitten hatte, und seine angenehme Stimme fiel in Mutters Lachen ein. Es ärgerte mich, wie ein Stück hübsche Dekoration versteckt zu werden, um später mit meinem Erscheinen einen dramatischen Effekt zu erzielen. Wenn ich halb so mutig gewesen wäre wie mein Vater, hätte ich auf der Stelle die gegenseitige Vorstellung erzwungen. Doch stattdessen seufzte ich und wandte mich zum Gehen. Das Protokoll, die Diplomatie. Sie beherrschten mich. Feigling.
Mein Fuß scharrte laut über die Fliesen, und ich erstarrte.
»Tess«, sagte Vater, als ich herumfuhr und den entsetzten Blick meiner Mutter zuwandte. »Was tust du hier?« Er stand so abrupt auf, wie ich es bei ihm selten gesehen hatte, und er wirkte aufrichtig bestürzt.
Garrett lächelte und richtete sich zu voller Größe auf. Unsere Blicke trafen sich, und mit einem scheußlichen Gefühl in der Magengrube gestand ich mir ein, dass ich jetzt knietief im Schoh steckte. Ich zwang mein Gesicht zu einem angenehmen, freundlichen Ausdruck, straffte die Schultern und trat hinter den beiden Wachen hervor.
»Ach, Tess«, sagte Mutter und berührte die Bänder, mit denen ihr blondes Haar zu einer komplizierten Frisur aufgetürmt war. »Warum konntest du nicht warten?« Sie wechselte einen merkwürdigen Blick mit meinem Vater, als wüssten beide nicht, was sie jetzt tun sollten.
Innerlich zitternd, sank ich in einen tiefen Knicks. »Guten Tag, Vater, Mutter«, sagte ich steif und förmlich. »Ich bitte um Verzeihung. Ich wusste nicht, dass ihr hier seid.« Das war eine schamlose Lüge, und als ich langsam näher trat, betete ich darum, dass ich nicht über eine unebene Fliese stolpern und mich auf den Allerwertesten setzen würde. Das würde zum bisherigen Verlauf des Tages passen.
Mein Herz pochte, als Vater vortrat und beinahe zeremoniell meinen Arm nahm. »Ich habe gesagt, du sollst gehen«, flüsterte er. In seinen besten Empfangsgewändern sah er erstaunlich stattlich aus.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich zurück. »Ich wollte nur einen Blick auf ihn werfen.« Das ungute Gefühl durchfuhr mich erneut, als er meiner Entschuldigung mit Schweigen begegnete. Gemeinsam traten wir vor Garrett hin, der neben meiner sitzenden Mutter stand. Ihre zierliche, zarte Gestalt wirkte ungewöhnlich steif und angespannt.
»Prinz Garrett, der Zweitälteste Sohn von König Edmund«, sagte mein Vater. »Dies ist unsere Tochter Tess. Ich muss mich für ihre Dreistigkeit entschuldigen, doch wie Ihr seht, hat sie ihren eigenen Kopf.«
Ein Schauer überlief mich, als Vater meine Hand in Garretts legte. Seine Hand war kräftig und ein wenig schwielig, was mir sagte, dass er sehr geübt mit dem
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