Topkapi
sollte.«
Auf den Pflastersteinen hinter uns näherten sich Fußtritte. Ich drehte mich um. Es war Harper.
»Weiter«, sagte er, »weitergehen.« Er sagte es leise, aber messerscharf.
Er war nur noch etwa sechs Schritte hinter uns, und nach einem Blick in sein Gesicht wußte ich plötzlich, daß ich ihn nicht an mich herankommen lassen durfte.
Also schritt ich mit Fischer durchs Tor der Glückseligkeit. Dieser Gehorsam Harper gegenüber war mir schon beinahe genauso natürlich geworden wie regelmäßiges Luftholen.
Es waren genau sechzig Schritte zu gehen, wie er gesagt hatte. Niemand hielt uns an. Niemand bemerkte uns. Miller hatte die Pforte bereits auf, als Fischer und ich ankamen. Von der Tür weiß ich nur noch, daß sie mit einem achteckig angelegten Schnitzmuster versehen war. Als nächstes stand ich in einem schmalen Gewölbe, und Miller verschloß hinter uns die Pforte.
Das Gewölbe war etwa sechs Meter lang und endete an einer unverputzten Mauer, an der ein Kasten mit einer Glasscheibe hing, hinter der sich ein aufgerollter Feuerwehrschlauch befand. Die Wendeltreppe zum Dach war aus Eisen, und der Name einer deutschen Firma war darauf eingraviert. Der Schlauch war von der gleichen Firma. Miller ging zur Treppe und betrachtete sie anerkennend. »Kluges Mädchen«, sagte er.
Fischer zuckte die Achseln. »Für jemanden, der Luftaufnahmen für die Luftwaffe auswertete, war das nicht weiter schwierig«, sagte er. »Ein Blinder hätte das auf der Vergrößerung, die sie hatte, sehen können.«
Miller lachte in sich hinein. »Sie hatte die Idee, Karl knobelte den Rest aus. Sie sind die Künstler. Wir sind nur die Techniker.«
Er schien sich köstlich zu amüsieren. Sein Lächeln war wölfischer denn je. Mir war zum Speien übel.
Fischer setzte sich auf die Stufen der Treppe. Miller zog Rock und Hemd aus und wickelte das Seil von seiner mageren Taille. Ich weiß nicht, was mich schlimmer drückte, die Angst oder das Seil, auf jeden Fall knöpfte ich mir nun auch das Hemd auf und wickelte mich aus der Schlinge und dem Ankerseil. Miller befestigte sie am großen Seil. Dann zog er einen schwarzen Samtbeutel aus seiner Tasche. Er war etwa so groß wie eine Herrensocke und hatte oben ein Zugband, an dem ein Federhaken hing. Diesen Haken befestigte er an einem der Haken, die an der Schlinge angebracht waren.
»Also«, sagte er, »wir sind fertig.« Er sah auf die Uhr. »In ungefähr einer Stunde werden Giulio und Enrico aufbrechen.«
»Wer ist das?« fragte ich.
»Freunde, die uns mit dem Boot abholen«, sagte Miller.
»Ein Boot? Wie kann ein Boot bis zu uns kommen?«
»Es kommt nicht zu uns«, sagte Fischer. »Wir kommen zum Boot. Kennen Sie die Höfe an der Küste bei der alten Stadtmauer, wo die Boote mit Brennholz anlegen?«
Ich kannte sie. Istanbul ist eine Stadt, die im Winter mit Holz geheizt wird. Diese Holzhöfe ziehen sich beinahe eine Meile entlang der Küstenstraße südöstlich von der Serailspitze hin, wo das Wasser für Küstenschiffe tief genug ist. Aber wir waren drei Kilometer von dort entfernt.
»Fliegen wir?«
»Der Volkswagen wird uns abholen.« Er grinste Miller zu.
»Hielten Sie es nicht für besser, mir etwas mehr darüber zu erzählen?«
»Das ist nicht unsere Aufgabe«, sagte Miller. »Wenn wir die Schatzkammer verlassen, schleichen wir uns über die Dächer wieder zurück bis zur Mauer des Janitscharenhofes, hinter der tagsüber die Autos parken. Die Mauer ist nur etwa sechs Meter hoch, und im Schutz der Bäume können wir uns mit dem Seil herunterlassen. Dann …«
»Dann«, unterbrach ihn Fischer, »machen wir einen kleinen Spaziergang bis zu dem Ort, wo der Volkswagen wartet.«
Ich wandte mich an Miller. »Soll Mr. Fischer sich mit einer Hand zum Boden hinunterlassen?«
»Er wird sich in die Schlinge setzen. Festhalten kann er sich mit einer Hand.«
»Auch im äußeren Hof sind wir noch innerhalb der Mauern.«
»Wir werden hinauskommen.« Mit einer ungeduldigen Handbewegung verabschiedete er das Thema. Er sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Es gab nur die Eisentreppe. Er inspizierte die Treppen. »Daß diese Leute nicht alle an Seuchen krepieren, ist unglaublich«, schimpfte er. »Vielleicht sind sie immun. Seit zweitausend Jahren oder länger nisten hier die Seuchen – Cholera, Pest, la vérole , Ruhr.«
»Jetzt nicht mehr, Leo«, sagte Fischer; »sie haben sogar die Kanalisation gereinigt.«
»Das lauert alles im Staub«, beharrte Miller düster.
Er legte
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