Topkapi
überzeugt, daß man uns von unten sehen und auf uns schießen würde. Fischer muß dasselbe Gefühl gehabt haben. Ich hörte ihn leise vor sich hinfluchen.
Für einen Augenblick funkelten Millers Zähne auf; dann ging er an den drei Kuppeln vorbei über die Gemächer der Weißen Eunuchen. Solange ich mich dicht an die Kuppeln hielt und unverwandt geradeaus blickte, wie Miller mich geheißen hatte, hatte ich überhaupt nicht das Gefühl, in großer Höhe zu sein. Eine Weile beschäftigte mich nur die Sorge, mit ihm Schritt zu halten, wie er die letzte Kuppel umrundete und über die leichte Wölbung der Dachmitte weiterhastete. Nur einmal blieb er stehen. Er hatte das Dach des Audienzsaales überquert, um die drei großen Fächerfenster über dem Tor der Glückseligkeit zu umgehen, und kam auf das Eunuchendach zurück, als ein weiteres fächerartiges Oberlicht in Sicht kam und die flache Oberfläche sich etwas verengte. Der Weg hinüber war nur etwa sechzig Zentimeter breit.
Ich sah die Erde unter mir und ging in die Knie – wahrscheinlich hätte ich es gerade noch geschafft, aus eigener Kraft hinüberzukriechen –, als er sich zurückbeugte, meinen Arm ergriff und mich hinter sich herzog. Das ging so schnell vor sich, daß ich gar keine Zeit hatte, mich zu übergeben oder das Gleichgewicht zu verlieren. Seine Finger waren wie eiserne Klammern.
Wir befanden uns jetzt in Höhe der Küchen. Zu meiner Rechten konnte ich die kegelförmigen Umrisse ihrer zehn dicken Schornsteine erkennen. Miller bog links ab. Hier war der Weg über neun Meter breit, und ich hatte keine Schwierigkeiten. Dann stieg das Dach an, und wir waren über dem großen Raum, in dem die Ausstellung der Miniaturen und Gläser untergebracht war. Vor mir sah ich eine Kuppel und dahinter die Spitze einer zweiten, kleineren. Die kleinere, das wußte ich, erhob sich auf dem Dach des Schatzmuseums.
Miller bewegte sich jetzt langsamer und vorsichtiger. Hin und wieder blieb er stehen. Dann sah ich, wie er sich über einen Vorsprung hinunterließ. Als seine Füße Halt gefunden hatten, waren nur noch sein Kopf und seine Schultern zu sehen. Ich folgte ihm. Ich hatte eben Richtung auf den Vorsprung genommen, als Miller sich umdrehte und mir zuwinkte. Er war ein, zwei Meter auf die äußere Dachkante zugegangen, also änderte ich meine Richtung und hielt auf ihn zu. So kam es, daß ich, als ich zu dem Vorsprung kam, zuviel sah.
Da war das gewölbte Dach der Schatzkammer und die Kuppel, und rings um die Kuppel verlief das Dach in einer Breite von etwas über einem Meter flach. Dort stand Miller. Aber hinter ihm war nichts mehr, nur eine große, schwarze Leere, und dann, entsetzlich weit unten, das fahle, weiße, fadendünne Band einer Straße im Mondlicht.
Ich hatte ein Gefühl, als müßte ich in der nächsten Sekunde das Gleichgewicht verlieren und stürzen. Ich ging in die Knie und preßte mich gegen die kühle, metallische Oberfläche des Dachs. Dann begann ich zu würgen. Ich konnte nichts dagegen tun; ich hatte nie etwas dagegen tun können. Ich habe mir von Menschen, die leicht seekrank werden, bestätigen lassen, daß es dasselbe Gefühl sein muß; nur überfällt es mich in großen Höhen weitaus schlimmer.
Ich hatte nichts im Magen, was ich hätte von mir geben können, aber das machte keinen Unterschied. Mein Magen versuchte immer wieder, sich zu entleeren.
Fischer begann nach mir zu treten und zischte mir zu, ich solle mich still verhalten. Miller griff heraus und zog mich an den Knöcheln über den Vorsprung herunter. Dann setzte er mich mit dem Rücken gegen die Kuppel. Er drückte mir den Kopf zwischen die Knie. Ich hörte ein schlurfendes Geräusch, wie er Fischer über den Vorsprung herunterhalf, dann Geflüster. »Wird er es schaffen?«
»Er muß.«
»Das Schwein.« Fischer gab mir einen Tritt, als ich wieder zu würgen anfing.
»Damit kommen wir nicht weiter. Du wirst mithelfen müssen. Solange er der Kante nicht näher kommt, könnte es gehen«, sagte Miller zu ihm.
Ich öffnete die Augen gerade so weit, daß ich Millers Füße sehen konnte. Er legte das Ankerseil rund um die Kuppel, und schließlich zog er das eine Ende zwischen meinem Rücken und dem Teil, gegen den ich mich lehnte, herunter. Dann kauerte er sich vor mir nieder und verknotete das Seil. Als er damit fertig war, befestigte er daran die obere Rolle des Flaschenzuges. Dann näherte sein Gesicht sich dem meinen. »Können Sie mich hören, Arthur?«
»Ja.«
»Wenn Sie
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