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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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Zicklein blökte überrascht, schob dann aber schnaufend wieder die Nase unter die Hinterläufe. Caleb und Bethany wachten nicht einmal auf, sie ahnten nicht, wie wenig gefehlt hatte, um sie zu einem Teil meiner Nahrungskette zu machen.
    Entsetzt blickte ich mich um, ich musste hier schnellstens raus. So ging das einfach nicht weiter. Nach und nach übernahm der Hunger wieder die Kontrolle, und lange dauerte es sicher nicht mehr, bis ich der Versuchung erlag. Ich musste mich nähren, bevor er so stark wurde, dass ich ihn nicht mehr ignorieren konnte.
    Vorsichtig löste ich mich von den schlafenden Kindern und brachte den frisch getauften Piraten zurück in seinen Pferch, wo er sofort wieder einschlief. Sobald ich derart befreit war, schlüpfte ich hinaus, lehnte mich draußen gegen die Wand und grübelte über die unausweichliche Frage nach. Es wurde Zeit. Das war knapp gewesen, viel zu knapp. Von wem sollte ich mich nun nähren?
    Nicht von den Kleinen, das niemals. So unmenschlich war ich nicht, dass ich einem schlafenden Kind Blut abzapfte. Aber Teresa und Silas waren zu alt, zu schwach, um auch nur einen Tropfen zu verlieren, außerdem würde ich sie bestimmt nicht in Anwesenheit der schlafenden Kleinen beißen. Jake und Darren hatten Wachdienst und Ruth war bei Zeke.
    Und Zeke war definitiv keine Option.
    Blieb noch die verrückte Dorothy, die momentan bei Martha im Haus war und tratschte – die Alte ging anscheinend nicht vor Mitternacht schlafen – und Jebbadiah Crosse.
    Ja, genau – mich an Jeb vergreifen, da konnte ich mir genauso gut eine Kugel in den Kopf jagen.
    Ich stieß ein frustriertes Knurren aus. So kam ich nicht weiter. Wann war das eigentlich passiert, dass mir die Menschen, von denen ich mich nähren sollte, so nah gekommen waren?
    So ist es zu Beginn immer. Kanins wissende Stimme hallte durch meinen Kopf. Hehre Absichten und das Ehrgefühl neuer Vampire. Große Schwüre, den Menschen nie etwas anzutun, sich nie mehr zu nehmen als notwendig, sie nicht wie Schafe durch die Nacht zu treiben. Aber es wird immer schwerer und schwerer, ihnen ebenbürtig zu sein und an der eigenen Menschlichkeit festzuhalten, wenn man in ihnen doch nichts anderes sieht als Nahrung.
    »Verdammt«, flüsterte ich und drückte angespannt eine Hand an die Stirn. Wie hatte Kanin das gemacht? Ich versuchte, mich an unsere gemeinsame Zeit im Saum zu erinnern. Er hatte eine Art Ehrenkodex, einen moralischen Leitfaden, an dem er sich orientierte, wenn er sich von ahnungslosen Opfern nährte. Dabei hatte er immer etwas zurückgelassen, eine Bezahlung für den Schaden, den er ihnen zufügte – so wie diese Schuhe damals.
    Das kam für mich jetzt nicht infrage. Ich hatte nichts, was ich hergeben konnte. Okay, ich half ihnen, indem ich nachts Wache hielt und so, doch das war ja mehr ein Beitrag zum Allgemeinwohl. Hier sprang jeder ein, wenn es sein musste.
    Aber ich hatte diesem Mann das Leben gerettet …
    Schuldgefühle und Selbstekel packten mich. Wie konnte ich auch nur daran denken, diesen geschwächten Menschen in dem Käfig als Opfer zu wählen? Vorhin war ich noch entsetzt gewesen, weil man ihn eingesperrt hatte wie ein Tier, und nun überlegte ich ernsthaft, mich von ihm zu nähren? Vielleicht hatte Kanin doch recht. Vielleicht war ich ein Monster, genau, wie er gesagt hatte.
    Wieder hörte ich seine tiefe Stimme in meinem Kopf, so klar und deutlich, als stünde er neben mir. Triff deine Wahl, Allison, würde er sagen, ganz ruhig und unbeteiligt. Wirst du auf jene Jagd machen, die du als Freunde und Gefährten betrachtest, oder auf einen Fremden, der dir sein Leben verdankt? Jede dieser Möglichkeiten ist ein Übel – du musst nun entscheiden, welches das kleinere ist.
    »Hör bloß auf«, murmelte ich vor mich hin. Der imaginäre Kanin antwortete nicht und löste sich in Luft auf. Er wusste bereits, welchen Weg ich wählen würde.
    Ich beobachtete, wie Jebbadiah Crosse seine Gebete für den Verletzten beendete und Richtung Haupthaus davonging. Seine hoch aufgerichtete Gestalt bahnte sich furchtlos einen Weg durch die Dunkelheit. Dann richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den Mann im Käfig und wartete ab, bis seine Hustenanfälle verstummten, er nicht mehr unruhig herumrutschte und seine rauen Atemzüge sich verlangsamten, als er schließlich einschlief.
    Sobald er anfing, leise zu schnarchen, schlich ich durch die tiefen Schatten an der Scheunenwand, lief zum Holzschuppen und schnappte mir den Schlüssel, der dort an

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