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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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herausfinden«, murmelte er. »Und du irrst dich – ein paar Dinge weiß ich jetzt schon über dich: Ich weiß, dass Ruth und du nicht miteinander klarkommen, ich weiß, dass Caleb dich vergöttert, und ich weiß, dass du besser mit dem Schwert umgehen kannst als irgendjemand sonst, den ich kenne.« Ein verdammt attraktives Lächeln huschte über sein Gesicht und seine Augen wirkten wie blaue Teiche, in denen sich mein Blick verlor. »Du bist eine Kämpferin und stellst alles infrage, womit du nicht einverstanden bist, und du bist wahrscheinlich die Einzige hier, die keine Angst hat vor Jeb. Und jemandem wie dir bin ich in meinem ganzen Leben noch nie begegnet.«
    »Lass los«, flüsterte ich. Ich konnte seinen dröhnenden Herzschlag hören und hatte plötzlich Angst, er könnte die Stille in meinem Körper bemerken. Er gehorchte, strich aber über meine Arme und drückte kurz meine Fingerspitzen, bevor er mich freigab. Sein Blick wich keine Sekunde von meinem Gesicht.
    »Ich weiß, dass du Angst hast«, fuhr er mit ruhiger Stimme fort. Immer noch stand er so dicht vor mir, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren konnte. Der Hunger erwachte, aber nun war er schwächer, vorerst befriedigt. »Ich weiß, dass wir uns gerade erst kennengelernt haben, dass wir eigentlich noch Fremde sind, und dass du deine Gründe hast, auf Distanz zu gehen. Aber ich weiß auch, dass ich … noch nie so für einen anderen Menschen empfunden habe. Und ich glaube … nein, ich hoffe … dass du dasselbe fühlst, weil es mir echt schwergefallen ist, dir das zu sagen. Also …« Noch einmal griff er nach meiner Hand. »Hiermit bitte ich dich, mir zu vertrauen.«
    Das wollte ich ja. Zum zweiten Mal in dieser Nacht wollte ich ihn küssen, wie er dort so völlig unverstellt im Mondlicht stand und ihm die Strähnen wirr ins Gesicht fielen. Zeke beugte sich vor, und für den Bruchteil einer Sekunde ließ ich ihn gewähren, ließ zu, dass er meinen Hinterkopf umfasste und seine Lippen sich meinen näherten. Sein Puls raste, sein Duft umgab mich, doch diesmal nahm ich nichts davon wirklich wahr, sondern sah nur sein Gesicht.
    Nein, das darf nicht sein! Mit einer heftigen Bewegung stieß ich ihn zurück. Er taumelte, fiel hin und landete rückwärts im Dreck. Ich hörte, wie er erschrocken Luft holte, sah den verstörten, verletzten Ausdruck in seinen Augen und wäre am liebsten weggelaufen.
    Aber ich tat es nicht. Gegen meinen Willen, gegen jede Empfindung in meinem Inneren, die laut schreiend protestierte, zog ich mein Schwert, trat auf ihn zu und drückte die Spitze der Klinge gegen seine Brust. Zeke riss die Augen auf, als der funkelnde Stahl nur Zentimeter von seinem Herzen entfernt aufblitzte, dann erstarrte er.
    »Lass es mich so deutlich sagen, wie ich kann«, begann ich und umklammerte krampfhaft den Schwertgriff, damit mein Arm nicht zitterte. »Tu das niemals wieder. Ich traue dir nicht, Pfaffensohn. Ich traue niemandem. Mir hat man so oft eine reingewürgt, dass sich daran auch nichts mehr ändern wird, verstanden?«
    Tränen der Wut und der Enttäuschung glitzerten in Zekes Augen, aber er nickte. Ich steckte das Schwert weg, drehte mich um und ging Richtung Haupthaus. Dabei spürte ich die ganze Zeit seinen Blick im Rücken. Aber er folgte mir nicht.
    Die Morgendämmerung war nicht mehr fern. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, schloss die Tür hinter mir und achtete diesmal darauf, sie auch zu verriegeln. Meine Augen brannten und ich musste mich mühsam zusammenreißen, damit die Tränen nicht flossen.
    Ich spritzte mir im Badezimmer eiskaltes Wasser ins Gesicht und musterte mich in dem gesprungenen Spiegel. Gewissen Mythen zum Trotz hatten wir durchaus ein Spiegelbild, und meines sah furchtbar aus: ein bleiches, schwarzhaariges Mädchen, dem Blut aus den Augen lief, während der Lebenssaft eines anderen durch seine Adern strömte. Als ich die Zähne fletschte, verschwand das Mädchen und stattdessen starrte mir ein knurrender Vampir mit leeren Augen entgegen. Wenn Zeke wüsste, was ich in Wahrheit war …
    »Es tut mir leid«, flüsterte ich und dachte daran, wie er mich angesehen hatte – als ich ihn zu Boden stieß und mit meinem Schwert bedrohte. Entsetzt, verraten, untröstlich. »Es ist besser so. Wirklich. Du hast ja keine Ahnung, auf was du dich da einlassen würdest.«
    Ich konnte nicht so weitermachen. Es war zu hart, Zeke ständig zu sehen, dabei aber auf Distanz zu bleiben und so zu tun, als wäre er mir egal.

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