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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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gebissen, wärst du noch am Leben. Es tut mir so leid, Joe.«
    »Ich wusste es«, zischte jemand hinter mir.
    Hastig wirbelte ich herum. An einer Ecke des Holzschuppens spähte Ruth hervor. Ihre braunen Augen waren vor Entsetzen weit aufgerissen.

17
    Während wir uns reglos musterten, schien die Zeit stillzustehen. Unsere Blicke begegneten sich, und plötzlich nahm ich all die Kleinigkeiten um uns herum wahr: den Speichel des Verseuchten, der auf den Käfigboden tropfte, die klebrigen Blutspuren auf meiner Wange.
    Schließlich wich Ruth einen Schritt zurück und holte tief Luft.
    »Vampir!«
    Der Schrei wurde von der Wand des Holzschuppens zurückgeworfen und hallte durch den Regen, während Ruth sich bereits umdrehte, um zu fliehen. Sofort kreischte der Verseuchte los und meine Vampirnatur erwachte brüllend zum Leben. Instinktiv stürmte ich los. Noch bevor das Mädchen einen Schritt gemacht hatte, rammte ich es gegen die Wand. Meine Reißzähne waren voll ausgefahren. Ruth schrie.
    »Halt’s Maul!«, fauchte ich und musste mich krampfhaft zurückhalten, um ihr nicht die Fänge in den zarten Hals zu bohren. Der Vampir in mir heulte auf und drängte mich, einfach zuzubeißen und sie zu töten. Vor lauter Anstrengung, diesem Drang nicht nachzugeben, begann ich zu zittern. Mit einem finsteren Blick fletschte ich die Zähne. »Das warst du, in der ersten Nacht in meinem Zimmer, oder?«, wollte ich wissen. »Ich dachte, ich hätte Schritte gehört. Die ganze Zeit schnüffelst du hinter mir her und wartest nur darauf, dass etwas passiert.«
    »Ich wusste es«, keuchte Ruth wieder und machte sich möglichst klein. In ihrem Gesicht rangen Trotz und Angst miteinander. »Ich wusste, dass mit dir irgendetwas nicht stimmt. Keiner hat mir geglaubt, aber ich wusste es. Zeke wird dein Herz auf einem Silbertablett verlangen, wenn er das erfährt, du Vampirflittchen.«
    Zischend beugte ich mich vor und präsentierte ihr meine Reißzähne. »Für jemanden, der gleich sterben wird, bist du verdammt selbstgefällig.«
    Ruth wurde blass. »Das kannst du nicht machen!«
    Ich grinste breit, war mir aber selbst nicht sicher, ob ich das ernst meinte. »Warum denn nicht?«
    »Zeke wird es erfahren!« Von Panik erfasst krümmte sie sich zusammen und riss abwehrend die Arme hoch. »Und Jeb auch! Du kannst mich nicht töten.«
    »Ich bin ein Vampir !«, knurrte ich. Jetzt war ich wirklich kurz davor, die Beherrschung zu verlieren. »Was sollte mich davon abhalten?«
    »Allison!«
    Ich erstarrte, und die Welt schien stillzustehen. In diesem kurzen Augenblick rasten die unterschiedlichsten Gefühle durch mein Bewusstsein, so schnell, dass sie kaum zu unterscheiden waren: Entsetzen, Wut, Schuld, Reue. Was machte ich denn hier? Was zum Teufel war über mich gekommen? Benommen blickte ich auf Ruth hinunter, und meine Bestürzung verwandelte sich in Abscheu. Eine Sekunde länger, und ich hätte sie vielleicht getötet.
    Aber was noch schlimmer war …
    Kraftlos ließ ich die Hände sinken und drehte mich langsam um. Zeke stand wenige Meter entfernt. Er hatte seine Pistole gezogen und zielte genau auf mein Herz.
    Schweigend sah ich ihm durch den immer stärker werdenden Regen entgegen. In diesem surrealen Augenblick musste ich plötzlich an unsere erste Begegnung in der verlassenen Stadt denken, es war beinahe ein Déjà-vu. Doch im Gegensatz zu damals war Zekes Miene nun völlig versteinert und er hatte grimmig die Lippen zusammengepresst. Diesmal meinte er es ernst.
    »Lass sie los, Vampir.«
    Innerlich zuckte ich bei dem Wort zusammen, das aus seinem Mund so kalt und unnachgiebig klang. »Warum sollte ich?«, erwiderte ich höhnisch. »Sobald sie weg ist, wirst du mich erschießen.«
    Er widersprach nicht, sondern starrte mich weiter reglos an. Trotz des Regens konnte ich sehen, wie seine Augen funkelten. Ich wartete noch kurz, dann sackte ich resigniert in mich zusammen.
    »Verschwinde«, sagte ich zu Ruth, ohne sie anzusehen, und sie zögerte keine Sekunde. Hastig löste sie sich von der Schuppenwand und rannte zu Zeke. Dann sah sie sich mit weit aufgerissenen, hasserfüllten Augen nach mir um.
    »Geh und hol Jeb«, befahl Zeke ihr mit ruhiger Stimme, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Alarmiere den Rest des Hauses, aber komm nicht zurück, um uns zu helfen, Ruth. Bleibt alle drin, behaltet die Kinder im Auge und verschließt die Türen! Verstanden?«
    Sie nickte kurz, dann rannte sie Richtung Haupthaus und begann wieder zu schreien. Ihre

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