Tor der Daemmerung
wollte.
Zeke ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Fast glaubte ich schon zu sehen, wie er den Finger um den Abzug spannte, als ich mich schließlich aufrichtete und mein Schwert wegsteckte. Das verwirrte ihn sichtlich, aber ich schüttelte entschlossen den Kopf.
»Ich kann das nicht.« Demonstrativ hob ich die leeren Hände und ließ die Arme dann wieder sinken. »Erschieß mich ruhig, wenn es nicht anders geht, aber ich werde nicht mit dir kämpfen, Zeke.« Reglos stand er da und in seinen Augen flackerten die widersprüchlichsten Gefühle auf, aber er richtete dennoch unverändert seine Waffe auf mich. Aus Richtung des Hauses wurden Schreie laut, gefolgt von platschenden Schritten im Schlamm.
Vorsichtig wich ich einen Schritt zurück, weg von Zeke, hin zum Schutzwall und dem Wald dahinter. »Ich werde jetzt gehen«, erklärte ich ihm leise, woraufhin Zeke die Waffe noch ein wenig höher hob und die Lippen zusammenpresste. »Du wirst mich niemals wiedersehen und ich werde auf dem Weg nach draußen niemanden belästigen. Natürlich kannst du mir jederzeit eine Kugel in den Rücken jagen, aber so oder so werde ich jetzt gehen.«
Ich wandte mich halb ab und wappnete mich innerlich gegen den Knall des Schusses und den explosionsartigen Schmerz in meiner Schulter. Zeke blieb noch einen Moment mit gezogener Waffe stehen, dann ließ er seufzend den Arm sinken.
»Geh schon«, flüsterte er, ohne mich anzusehen. »Verschwinde und komm bloß nicht zurück. Ich will dich niemals wiedersehen.«
Ich ersparte mir eine Antwort. Stattdessen drehte ich mich endgültig um und hatte nach wenigen Schritten den Schutzwall erreicht. Abschätzend blickte ich an ihm hinauf.
»Allison.«
Noch einmal sah ich mich um. Zeke stand noch an derselben Stelle und hielt die Pistole kraftlos in der Hand. »Jetzt sind wir quitt«, murmelte er. »Aber … das ist das letzte Mal, dass ich dir einen Gefallen tue. Sollte ich dich jemals wiedersehen, werde ich dich töten.«
Da ich nicht zeigen wollte, wie sehr mich das verletzte, wandte ich mich wieder dem Wall zu. Gleichzeitig wäre ich am liebsten herumgewirbelt, hätte ihn zu Boden gestoßen und ihm gezeigt, was für ein Dämon ich tatsächlich war. Meine Kehle brannte, aber ich schluckte die Tränen runter, zusammen mit der Wut, und begrub beides unter kalter Gleichgültigkeit. Schließlich hatte ich gewusst, dass es irgendwann so kommen würde.
Aus der Hocke sprang ich hoch und suchte Halt in den kleinen Spalten zwischen den rostigen Metallelementen, bis ich die vier Meter hohe Mauer überwunden hatte. Kaum war ich auf der anderen Seite, hörte ich die ersten Schüsse – vier Stück in schneller Folge, offenbar aus Zekes Pistole. Ein ganzes Stück neben mir wies das Metall kleine Durchschusslöcher auf. Zeke hatte nicht auf mich gezielt, sondern nur dafür gesorgt, dass Jeb davon ausgehen musste, dass er mich vertrieben hatte. Dass er den Vampir nicht kampflos hatte ziehen lassen.
Vor mir lagen die Felder der Festung und dahinter der dunkle Wald. Hinter der Mauer herrschte einen Moment Stille, dann hörte ich Zekes Schritte, die sich rasch entfernten. Er ging zurück zu Jebbadiah und seiner Familie, dorthin, wo er hingehörte.
Ich setzte mich ebenfalls in Bewegung und ließ die Mauer, die Menschen und den sicheren Hafen hinter mir, der doch nur eine Lüge war. Dabei dachte ich an Zeke und mich, an die riesige Kluft zwischen uns, die mehr war als eine räumliche Trennung, und wie nun jeder von uns wieder in seine eigene Welt abtauchte, in der für den jeweils anderen keine Überlebenschance bestand. Als ich den Waldrand erreicht hatte, wo Verseuchte, Dämonen und andere Schrecken auf mich warteten, war diese Kluft bereits so breit geworden, dass ich die andere Seite nicht mehr sehen konnte.
VIERTER TEIL – Streuner
18
Sie warteten am Waldrand. Ihre ausdruckslosen Augen schimmerten im Regen, sie musterten mich mit dem starren Blick des Todes. Zu viert hockten sie unter den nassen Zweigen der Bäume, darunter die Frau in dem zerfetzten Kleid. Ich behielt sie genauso im Auge wie sie mich – reglos belauerten wir einander, fünf Statuen in der Dunkelheit. Das Wasser rann über unsere bleiche Haut und die funkelnde Klinge in meiner Hand.
So verharrten wir. Monster in der Nacht, die einander einzuschätzen versuchten. Das Gewitter tobte sich um uns herum aus, die Blitze spiegelten sich in den Augen der Verseuchten, wodurch sie umso lebloser wirkten, doch keiner von uns rührte
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