Tor der Daemmerung
bleiben, aber ich glaube nicht, dass sie damit Erfolg haben wird. Jeb hat bereits den Marschbefehl erteilt.«
»Sofort? Heute Nacht noch?«, hakte ich stirnrunzelnd nach. Darren nickte. »Ich dachte, wir würden hier bleiben, bis es Joe besser geht.«
»Er ist gestorben«, erklärte Darren leise. Entsetzen schnürte mir die Kehle zu. »Heute Nachmittag. Als Larry rausgegangen ist, um nach ihm zu sehen, war es bereits vorbei.«
Er ist tot? »Nein«, flüsterte ich, doch ein Donnergrollen übertönte meine Stimme. Nein, er kann nicht tot sein. Nicht nachdem … Hastig stolperte ich durch die Hintertür ins Freie und lief Richtung Holzschuppen.
Die ersten Regentropfen fielen und platschten lautstark auf die Wellblechdächer. Als ich an der Scheune vorbeikam, hörte ich drinnen die Tiere blöken, schwere Körper rieben aneinander und wurden an die Wände gedrückt, auf dem Holzboden klapperten die Hufe. Still und dunkel ragte der Schuppen in der Abenddämmerung auf. Obwohl der Regen die Feuer bald auslöschen würde, hatte bereits jemand Holz geholt, um noch etwas nachlegen zu können. Ob die Verseuchten wohl jedem Sturm aufgeregt entgegenfieberten?
Sobald ich den Schuppen umrundet hatte, sah ich den Käfig und die zitternde Gestalt, die in einer Ecke kauerte. Erleichterung durchströmte mich wie eine warme Welle. Darren hatte sich geirrt, Joe war noch am Leben.
»Hey«, begrüßte ich ihn leise und stellte mich dicht vor die Gitterstäbe. »Du hast mir einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Alle dachten, du wärst …«
Mit brennendem Blick sah Joe hoch, dann stürmte er kreischend los.
Hastig wich ich zurück und sein Körper schlug donnernd gegen das Gitter, während er erneut einen markerschütternden Schrei ausstieß. Bleiche, blutleere Hände schoben sich zwischen den Stäben hindurch, um mich zu packen. Heulend rüttelte der Verseuchte an seinem Käfig, biss in die Eisenstangen, kratzte daran und sah mich mit einem Ausdruck von Wahnsinn unverwandt an.
Verstört musterte ich die Kreatur, die einmal Joe Archer gewesen war, sein früher vertrautes Gesicht, das nun eingefallen und entseelt war. Blut und Speichel verklebten seinen Bart, mit fiebrig glänzenden Augen starrte er mich an, doch darin war nichts zu erkennen außer einem übermächtigen Hunger. Mein Magen verkrampfte sich so heftig, dass ich glaubte, mich übergeben zu müssen.
Habe ich das bewirkt? Ist das meine Schuld? Die Erinnerung an die vergangene Nacht kehrte zurück, als Joe normal mit mir gesprochen und sogar einen Witz gemacht hatte, als Zeke ihm Kaffee brachte. Da ging es ihm noch gut. Hatte ich zu viel genommen, war er deshalb gestorben, hatte er deshalb den Kampf gegen die Infektion verloren? Wenn ich mich nicht von ihm genährt hätte, wäre er dann vielleicht noch am Leben?
Als ich Schritte hinter mir hörte, drehte ich mich abrupt um. Halb hoffte und halb fürchtete ich, es könnte Zeke sein. Doch es war nur Larry, der mit der leeren Schubkarre zum Holzschuppen zurückkehrte. Nachdem er sie abgestellt hatte, musterte er einen Moment lang den Verseuchten, und sein wettergegerbtes Gesicht wurde traurig.
»Verdammt«, murmelte er mit erstickter Stimme. »Verdammter Mist, verdammter! Ich hatte so gehofft, er würde …« Er atmete tief durch und schluckte. »Ich muss es Patricia sagen«, flüsterte er dann so schwach, als wäre er kurz davor, zusammenzubrechen. »Ach, Joe. Du warst ein guter Mann. Das hast du nicht verdient.«
»Was geschieht jetzt mit ihm?«, fragte ich.
Larry sah mich nicht an, sondern starrte weiter auf den Verseuchten, während er tonlos antwortete: »Hätte er sich nicht verwandelt, hätten wir seinen Leichnam begraben können, aber jetzt ist nichts mehr von ihm übrig. Morgen früh wird die Sonne den Rest erledigen.«
Mit schweren Schritten kehrte er zum Haupthaus zurück. Ich betrachtete erneut das Monster, das einmal Joe gewesen war, und fühlte mich einfach nur beschissen.
Meine Augen brannten, ich spürte etwas Heißes auf meiner Wange. Diesmal wischte ich es nicht weg, und sofort zogen sich weitere rote Spuren über meine Haut. Der Verseuchte beobachtete mich mit kaltem, berechnendem Blick. Er stürmte nicht mehr gegen das Gitter an, sondern hockte unnatürlich still in der hintersten Ecke seines Käfigs, wie eine gespannte Feder, die sich jederzeit lösen konnte.
»Es tut mir leid«, flüsterte ich, doch beim Klang meiner Stimme fletschte er nur die Zähne. »Es ist meine Schuld. Hätte ich dich nicht
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