Tor der Daemmerung
klimperten die Tropfen melodisch auf einen Metalleimer. Es klang wie mein Herzschlag: rasend schnell und hektisch.
Ein Windstoß erfasste die Schuppentür, sie flog quietschend auf und krachte gegen die Außenwand. In der dunklen Öffnung waren verschwommen die Häuserruinen zu erkennen.
Ich schluckte schwer, dann trat ich in den Regen hinaus.
Innerhalb von Sekundenbruchteilen war ich klatschnass, das Wasser lief mir in den Kragen und ließ meine Haare am Kopf kleben. Zitternd zog ich die Schultern hoch und ging hastig durch das hohe Gras. Hinter mir hörte ich die Schritte der anderen, dann musste ich mich durch das Gestrüpp kämpfen. Ein Blitz zuckte über den Himmel und tauchte alles in grelles Licht. Die aufgereihten Häuser waren deutlich zu erkennen, bevor wieder alles im Dunkeln versank.
Donner grollte. Als er abebbte, glaubte ich irgendwo links von mir ein Geräusch zu hören. Ein leises Rascheln, das nicht von meinen Freunden stammen konnte, die immer noch hinter mir waren.
Zwischen den Grashalmen streifte etwas mein Bein, etwas Hartes, Spitzes. Erschrocken wich ich zurück und schaltete die Taschenlampe ein, um zu sehen, woran ich mich verfangen hatte.
Es war ein kleiner, gespaltener Huf an einem Hinterbein, das zum Kadaver eines Rehs gehörte. Lang ausgestreckt lag das Tier auf der Seite. Sein Bauch war aufgerissen und die Eingeweide quollen wie rosafarbene Schlangen aus dem Loch. Die dunklen Augen waren glasig und starrten blicklos in den Regen.
»Allie?«, flüsterte Lucas, der plötzlich hinter mir auftauchte. »Was ist denn … oh, scheiße!«
Ich riss den Lichtstrahl herum und holte tief Luft, um die anderen zu warnen.
Hinter Rat erhob sich etwas Bleiches, Schreckliches aus dem Gras, das nur aus Armen, Klauen und schimmernden Zähnen zu bestehen schien. Bevor ich überhaupt realisierte, was geschah, hatte es ihn bereits von den Füßen gerissen. Mir blieb nicht mal genug Zeit, um ihm etwas zuzurufen. Mit einem kurzen Stöhnen verschwand Rat zwischen den Pflanzen.
Dann fing er an zu schreien.
Wir fackelten nicht lange, verschwendeten keinen Atemzug darauf, es auszusprechen. Rund um uns herum geriet das Gras in Bewegung und raschelte wild, als sie auf uns zukamen. Wir rannten einfach los. Rats schmerzerfüllte Schreie brachen abrupt ab, aber wir drehten uns nicht um.
Ich erreichte den Maschendrahtzaun an der Grundstücksgrenze, schwang mich darüber und landete unsicher, weil das Gewicht des Rucksacks mich aus dem Gleichgewicht brachte. Lucas war dicht hinter mir und stemmte sich mit beiden Händen über den Zaun. Stick krabbelte ebenfalls drüber und landete kopfüber auf der anderen Seite, sprang aber sofort wieder auf und stürmte hinter mir her.
»Allie!«
Lucas’ Schrei ließ mich herumfahren. Sein Rucksack hatte sich am Zaun verfangen und er zerrte wie ein Wahnsinniger daran herum. In seinen weit aufgerissenen Augen stand die nackte Angst. Stick verschwand in der Dunkelheit. Verdammt!
»Lass den verdammten Sack!«, brüllte ich und lief einen Schritt auf Lucas zu, doch meine Stimme wurde von einem lauten Donner übertönt, sodass Lucas weiter hektisch daran herumfummelte. »Lass den Rucksack los, Lucas! Verschwinde!«
Langsam dämmerte es ihm. Gerade streifte er die Schulterriemen ab, als ein langer, weißer Arm über dem Zaun auftauchte, sein Shirt packte und ihn nach hinten riss. Lucas schrie auf, schlug wie wild um sich und versuchte sich zu befreien, doch schon griff eine weitere Klaue nach ihm und grub sich in seinen Hals, sodass seine Schreie gurgelnd erstickten. Mir wurde übel. Benommen sah ich zu, wie Lucas zappelnd und heulend zurück über den Zaun gezerrt wurde und in der Masse aus bleichen Leibern verschwand, die sich auf der anderen Seite versammelt hatte. Seine Schreie verstummten noch schneller als die von Rat, doch bis dahin rannte ich längst hinter Stick her, ohne auf meinen rebellierenden Magen zu achten, ohne noch einmal zurückzublicken.
Stick hatte einen solchen Vorsprung, dass ich seine schmale Silhouette kaum ausmachen konnte, er rannte mitten auf der Straße und wand sich zwischen den Autowracks hindurch. Ohne stehen zu bleiben, streifte ich meinen Rucksack ab, dann folgte ich ihm völlig ungedeckt über die offene Straße. Langsam ließ der Regen nach, die Hauptfront des Sturms zog weiter Richtung Stadt. Über das leise Rauschen hinweg hörte ich, wie die Dosen auf Sticks Rücken bei jedem seiner Schritte klapperten. Vor lauter Panik hatte auch er
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