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Tor der Daemmerung

Tor der Daemmerung

Titel: Tor der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Kagawa
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nicht daran gedacht, den Rucksack loszuwerden. Hastig sprintete ich hinter ihm her, da ich wusste, dass er dieses Tempo nicht mehr lange beibehalten konnte.
    Zwei Blocks weiter fand ich ihn dann: Er lehnte an einer verrosteten, umgedrehten Autokarosserie, direkt neben einem Baum, der aus dem Bürgersteig hervorspross. Dabei keuchte er so heftig, dass er nicht einmal sprechen konnte. Ebenfalls atemlos sank ich neben ihm in die Hocke. Vor meinem inneren Auge sah ich wieder und wieder, wie Lucas und Rat starben, hörte ihre Schreie in meinem Kopf.
    »Lucas?«, fragte Stick so leise, dass ich ihn kaum verstand.
    »Tot.« Meine Stimme klang fremd, als gehöre sie nicht zu mir. Es schien so unwirklich, dass ich ihn verloren hatte. Mir stieg die Galle in die Kehle, doch ich unterdrückte den Brechreiz. »Er ist tot«, hauchte ich noch einmal. »Die Verseuchten haben ihn erwischt.«
    »O Gott.« Stick schlug die Hände vor den Mund. »O Gott, o Gott, o Gott!«
    »Hey!« Ich versetzte ihm einen Stoß, bevor er haltlos weiterbrabbeln konnte. »Hör auf. Wenn wir das hier überstehen wollen, müssen wir einen kühlen Kopf bewahren, okay?«
    Später war noch genug Zeit, zu weinen und meinen Verlust zu betrauern. Aber jetzt kam es erst mal darauf an, mir zu überlegen, wie wir am Leben bleiben konnten.
    Stick nickte, doch in seinen glasigen Augen spiegelte sich nichts als Angst. »Wo sollen wir jetzt hin?«
    Um mich zu orientieren, ließ ich den Blick umherschweifen und entdeckte dabei etwas, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Stick«, sagte ich leise und musterte sein Bein. »Was ist das?«
    Aus einer Schürfwunde an seinem Knie quoll Blut hervor und durchtränkte seine dünne Hose. »Oh«, antwortete er, als hätte er es selbst gerade erst bemerkt. »Das muss wohl passiert sein, als ich vom Zaun gefallen bin. Sie ist nicht sehr tief …« Als er mein Gesicht sah, zögerte er. »Warum?«
    Ganz langsam stand ich auf. Mein Mund war wie ausgetrocknet. »Blut«, murmelte ich und wich vor ihm zurück. »Verseuchte können Blut riechen, wenn sie nahe genug herankommen. Wir müssen sofort …«
    Mit einem Heulen sprang die Kreatur auf das Auto und schlug nach der Stelle, wo ich eben noch gehockt hatte. Seine Klauen zerfetzten mühelos das Metall. Kreischend taumelte Stick vorwärts und versteckte sich hinter mir, während das Wesen auf der Karosse einen markerschütternden Schrei ausstieß und uns beide musterte.
    Früher war es einmal ein Mensch gewesen, und das war eigentlich das Schlimmste daran. Das Gesicht und der ausgemergelte Körper hatten noch menschliche Züge an sich, doch die fast schneeweiße Haut, die sich straff über die Knochen spannte, erinnerte eher an ein Skelett. Seine Kleidung bestand nur noch aus hauchdünnen Fetzen, die lose um seinen Körper flatterten, und seine Haare waren völlig verklebt. Die Augen waren vollkommen weiß, ohne Iris oder Pupille, einfach nur ein leeres, totes Weiß. Fauchend sprang es von dem Wagen und präsentierte seine spitzen Zähne. Die überdimensionierten Eckzähne waren gebogen wie bei einer Schlange.
    Hinter mir schluchzte Stick leise vor sich hin und stieß erstickte Laute aus, die keinen Sinn ergaben. Dann stieg mir der scharfe Gestank von Urin in die Nase. Mit rasendem Puls schob ich mich von ihm weg, woraufhin der Verseuchte mir kurz mit dem Blick folgte, bevor er erneut Stick ins Visier nahm. Seine Nasenlöcher blähten sich und blutiger Schaum tropfte von seinem Mund, als er langsam vorwärtsschlurfte.
    Stick war starr vor Schreck und beobachtete den Verseuchten wie eine gefangene Maus die Schlange. Was ich nun tat, war mir selbst unbegreiflich, aber ich langte in meine Tasche und holte mein Messer hervor. Nachdem ich die Klinge ausgeklappt hatte, schloss ich die Hand darum und zog sie, bevor ich es mir anders überlegen konnte, mit einem Ruck über meine Haut.
    »Hey!«, schrie ich dann. Sofort richtete der Verseuchte seinen gruseligen Blick auf mich und blähte die Nüstern. »Ja, richtig«, fuhr ich fort und wich langsam vor ihm zurück. Die Kreatur folgte mir und sprang so mühelos auf das nächste Auto, als würde sie entspannt spazieren gehen. »Sieh mich an, nicht ihn. Stick«, rief ich, ohne den Verseuchten aus den Augen zu lassen, während ich darauf achtete, immer ein Autowrack zwischen uns zu halten, »verschwinde von hier. Such nach dem Tunnel, der bringt dich zurück in die Stadt. Hast du mich verstanden?«
    Keine Antwort. Ich riskierte einen Blick

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